Kichernde Teenager

■ Mit offenem Visier in den Kampf um Bilder und Worte. Ein Gespräch mit der New Yorker taz-Kolumnistin Marcia Pally über den alten rechten und den neuen linken Antiliberalismus

Unsere Leser wissen es aus den Kolumnen von Marcia Pally: Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten wird fleißig zensiert – schmutzige Worte im Fernsehen, böse Rede auf dem Campus und nackte Tatsachen in Kunstgalerien. Neuerdings mischt auch die Linke dabei kräftig mit. Von Marcia Pally erscheint dieser Tage in den Vereinigten Staaten ein Buch über den neuen Puritanismus im Namen der politisch-moralischen Korrektheit.

taz: Wenn in deinem Buch von Zensur die Rede ist, dann geht es meistens um Nacktheit, die nicht gezeigt werden soll, um Bilder mit sexuellem Inhalt, um das Verbannen von Wörtern oder Sätzen, die sexuelle Handlungen beschreiben. Haben die Amerikaner solche Angst vor Sex?

Marcia Pally: Zensur hat in den USA tatsächlich immer noch in erster Linie mit sexuellen Bildern zu tun. Zwar gibt es seit ungefähr zwei Jahren auch einen verstärkten Aktivismus gegen Bilder, die Gewalt zeigen. Aber das ist wirklich neu. Bis vor kurzem kamen die Amerikaner mit Gewaltdarstellungen gut klar, wohingegen sie sich mit sexuellen Bildern schon immer schwertaten. Das ist Teil unserer Mentalität. Wir haben eine puritanische Vergangenheit, in der Sexualität als Wurzel allen Übels angesehen wurde. Daher rührt das starke Bedürfnis, alles, was an Sex erinnert, zu verbieten. Als relativ junges Land fehlt uns die Zeit, langsam aus dieser Haltung herauszuwachsen. Wenn man davon ausgeht, daß jede Epoche ein bestimmtes menschliches Entwicklungsstadium widerspiegelt, dann befinden sich die Amerikaner gerade in der Phase der Heranwachsenden. Wir sind Teenies.

In New York mit Robin Byrds Striptease-Show im Fernsehen, Porno-Pay-TV und Gay Games hat man nicht gerade das Gefühl, als würden den Amerikanern sexuelle Bilder vorenthalten.

New York ist nicht Amerika. In diesem Land leben 260 Millionen Menschen, und für die meisten ist New York der Inbegriff von Sodom und Gomorrha. Außerdem ist das Vorhandensein von sexuellen Bildern noch kein Indiz für den aufgeklärten Umgang damit. Die sexuelle Obsession der Amerikaner hat zwei Seiten. Einerseits hegen sie aufgrund ihrer puritanischen Tradition ein großes Mißtrauen gegen Sex. Andererseits hat die sexuelle Revolution der 60er Jahre das Pendel in die andere Richtung ausschlagen lassen. Die heranwachsenden Amerikaner haben plötzlich ihre Faszination für Sex entdeckt – eine unreife Faszination, bei der alles Sexuelle begierig aufgesogen und gleichzeitig schamhaft bekichert wird. Wir sind besessen von Sex und haben gleichzeitig Angst davor.

Ist Zensur eher ein Problem der Landbevölkerung und der traditionell konservativen Staaten des Südens?

Nicht unbedingt. Es gibt den braven Bürger aus dem Mittelwesten, der sich regelmäßig Pornos in seiner Videothek ausleiht – jede Videothek dort hat ihre Abteilung mit Erwachsenenfilmen – und der in der Gemeindeversammlung dennoch mit Nachdruck für die Schließung aller Videotheken stimmt. Und es gibt den Politiker in New York, der trotz Gay- Games-Festival Homosexualität am liebsten unter Strafe stellen würde. Vor kurzem erst gab es hier eine hitzige Debatte über sexuelle Aufklärung und Aids-Prävention an Schulen. Eine New Yorker Schulbehörde weigerte sich, Kondome an einer Highschool bereitzustellen, was nicht nur wegen der Aids-Gefahr wichtig wäre, sondern auch zur Schwangerschaftsverhütung – ein großes Problem an New Yorker Schulen. Dabei ging es nicht einmal darum, die Kondome zu verteilen, sondern sie nur für die Teenager verfügbar zu machen, die kein Geld haben, sich welche in der Drogerie zu kaufen.

Hat sich das Klima in Sachen Zensur unter Bill Clintons Regierung geändert?

Wenn wir über Zensur sprechen, müssen wir zunächst einmal unterscheiden zwischen der Zensur von rechts, die von den traditionell konservativen Kräften betrieben wird, und der neuen Zensur von links, die im Zusammenhang mit den Diskussionen unter dem Stichwort „political correctness“ von Liberalen und Teilen der feministischen Bewegung gefordert wird. Als Clinton sein Amt antrat, hörten die Zensurbemühungen der Konservativen nicht auf. Im Gegenteil. Als Oppositionspartei versuchen die Republikaner jetzt erst recht, ihre Positionen in den politischen Ausschüssen durchzusetzen. Gleichzeitig rufen die Linken, oder was man hierzulande so nennt, neuerdings nach dem Zensor. Alle möglichen Äußerungen sollen nun unter den Tatbestand „sexuelle Belästigung“ fallen. Ich halte das für die falsche Strategie. Nicht, daß ich sexuelle Belästigung o.k. fände, aber man schafft sie nicht aus der Welt, indem man Männern bestimmte Redewendungen verbietet.

Wer oder was wurde unter Clinton zensiert?

Der wohl bekannteste Fall betrifft die NEA (National Endowment of the Arts), die wichtigste staatliche Kulturstiftung der USA. Noch unter Bush wurden vier Künstlern die Stipendien aberkannt, weil ihre Arbeiten angeblich die öffentliche Moral verletzen und der Staat so etwas nicht mit Steuergeldern fördern wolle. Mit Unterstützung der Bürgerrechtsbewegung ACRU (American Civil Rights Union) klagten die vier Künstler gegen diese Entscheidung und gewannen den Prozeß. Kurz darauf verlor Bush die Wahl. Und dann geschah das Unfaßbare. Die Clinton-Regierung gab den Künstlern nicht etwa ihr lang versprochenes Geld, sondern ging in die Berufung. Das war für uns Intellektuelle, die wir alle für Clinton gestimmt hatten, ein echter Schock.

Wie wurde die Entscheidung zur Revision des Gerichtsurteils begründet?

Noch zu Bushs Zeiten hat der Oberste Gerichtshof über einen ähnlichen Fall entschieden: Krankenhäuser, die mit staatlichen Mitteln, also Steuergeldern, gefördert werden, dürfen demnach keine Beratung über Abtreibung vornehmen. Ausgerechnet auf dieses Urteil stützt sich jetzt die Clinton- Administration bei ihrer Argumentation, daß nur die Kunst staatlich gefördert werden soll, deren Inhalt gängigen Sittlichkeits- Standards entspricht. Das heißt, daß in Zukunft Richter über Kunst entscheiden. Dabei war es über 25 Jahre gute Tradition der NEA, unabhängige Jurys mit anerkannten Künstlern über die Stipendien entscheiden zu lassen.

Auch das Fernsehen, Lieblingsmedium der Amerikaner, wird zensiert. Wer kontrolliert das TV?

Zunächst einmal gibt es die Regierungsbehörde FCC (Federal Communications Commission), die besondere Richtlinien darüber aufstellt, was im Fernsehen oder Radio zu welcher Zeit gezeigt und gesagt werden darf. Darüber hinaus haben alle großen Fernseh- und Radiostationen noch interne Kontrollabteilungen, die über den „guten Geschmack“ wachen. Die Regeln der FCC sind zum Teil sehr konkret. Es dürfen beispielsweise bestimmte Worte wie fuck, shit oder genitals nicht vorkommen. Dann gibt es noch die schwammige Bestimmung, daß nichts Unsittliches gezeigt werden darf. Das Problem dabei ist, daß es keine genaue Definition für den Begriff „Unsittlichkeit“ (indecency) gibt – was für mich unsittlich ist, muß in den Augen eines reaktionären Politikers wie Jesse Helms nicht unsittlich sein und umgekehrt.

Seit kurzem tauchen im Fernsehen manchmal Schrifttafeln auf, die Eltern darauf hinweisen, daß das folgende Programm Gewalt zeigt und darum nicht für Kinder geeignet sei. Ist das ein Verdienst der Clinton-Regierung?

Nein, es ist keine ausdrückliche Clinton-Initiative, aber es passierte in seiner Amtszeit. Wie ich eingangs schon erwähnte, gab es im letzten Jahr eine richtige Hysterie wegen der Gewalt im Fernsehen. Es fanden Anhörungen und hitzige Debatten im Kongreß darüber statt. Das ging soweit, daß eine Gesetzesinitiative gefordert wurde, um die Gewalt im Fernsehen zu reduzieren. Um dem zuvorzukommen, haben die Fernsehsender freiwillig diese Warnungen für Eltern eingeführt. Den Gewaltkritikern reicht das jedoch längst nicht. Sie fordern für Fernsehfilme ein ähnliches Zensursystem wie im Kino. Und um zu verhindern, daß Kinder die falschen Filme sehen, fordern sie die Einführung des V- Chips (V steht für violence), der automatisch die Ausstrahlung von Gewaltfilmen blockiert.

Wie soll das funktionieren?

Technisch ist das heute bereits kein Problem mehr. Ähnlich wie beim Pay-TV genügt eine bestimmte Kennung, um ein Fernsehprogramm zu verschlüsseln. Wenn ein Erwachsener den zensierten Film sehen will, muß er beim Sender anrufen und um Freigabe bitten. Die Frage ist jedoch, wer bestimmt, welcher Film ein V- Label bekommt. Da gehen die Meinungen weit auseinander. Sollte man den Film „Angeklagt“ mit Jodie Foster unverschlüsselt zeigen? Ich meine ja, denn obwohl darin eine brutale Vergewaltigung gezeigt wird, setzt er sich kritisch mit dem Thema Gewalt auseinander. Und was ist mit den Nachrichten? In Kanada kann die Regierung bereits bestimmte Nachrichtenthemen verbieten, weil sie Gewalt implizieren. Ich halte das für sehr gefährlich, denn die Regierung hat damit eine Lizenz zur Nachrichtenunterdrückung.

Die Angst der Amerikaner vor bösen Worten hat jetzt auch die Universitäten erreicht. Über 60 Prozent der US-Colleges haben bereits detaillierte Kataloge zur Sprachregelung auf dem Campus, sogenannte „hate speech codes“, herausgebracht, um ungebührliches Reden zu unterbinden. Wer will da was verbieten?

Die Initiative ging in den 80er Jahren von einer kleinen Gruppe von Jura-Professoren aus. Mit den hate speech codes sollten Minderheiten und Frauen besser vor Belästigungen geschützt werden. Die Sprachregelungen verbieten herabwürdigende Äußerungen, die die Herkunft, Hautfarbe, Religion,

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Geschlecht, Alter oder die sexuellen Vorlieben einer Person betreffen. Und sie gelten nicht nur für die öffentliche Rede, sondern auch für private Äußerungen.

Gelten die Regeln nur für den Umgang der Studenten untereinander?

Nein, sie gelten auch für den Lehrkörper. Im Falle einer Verletzung des Sprachcodes droht Professoren der zeitweise Ausschluß vom College, möglicherweise sogar verbunden mit der Aussetzung der Gehaltszahlungen. Deshalb herrscht an manchen Universitäten bereits völlige Hysterie. Erst kürzlich wurde einem Professor in Chicago die Lehrerlaubnis entzogen, weil er es gewagt hatte, aus dem Talmud zu zitieren, um den Unterschied zwischen einem mutwilligen Verbrechen und einer versehentlichen Tat deutlich zu machen. Er referierte folgende groteske Frage aus dem jüdischen Lehrbuch, mit der die Rabbis dieses Problem veranschaulichen: „Wenn ein Dachdecker zufällig vom Dach fällt, wenn er dabei zufällig auf eine Frau fällt, wenn er dann zufällig mit ihr Geschlechtsverkehr hat, was schuldet er ihr dann?“ Wohlgemerkt, er unterrichtete Erwachsene und keine minderjährigen Kinder. Eine seiner Studentinnen fühlte sich durch die Äußerung herabgewürdigt und brachte die Sache vors College- Komitee. Der Professor wurde verwarnt, es wurde ihm zur Auflage gemacht, sich einer psychologischen Beratung zu unterziehen, seine Vorlesungen werden künftig sicherheitshalber mitgeschnitten.

Steht der Talmud denn inzwischen auch schon auf dem Index?

Nein, aber das spielte in diesem Fall keine Rolle. Ich erwähne das Beispiel deshalb, weil es die Absurdität der hate speech-Regelungen deutlich macht. Aber selbst in einem weniger extremen Fall, wenn auf dem Campus jemand etwas sagt, das tatsächlich beleidigend ist, halte ich Verbote für die falscheste aller Strategien. Man sollte statt dessen lieber mehr Redefreiheit zulassen. Zwar garantiert das auch nicht den Sieg über sexuelle Belästigung oder Rassismus. Frauenfeinde könnten dann mit größter Energie ihre Argumente vertreten. Aber im Krieg der Worte ist es besser in einer offenen Debatte zu verlieren, als mit Schlägermethoden zu gewinnen. Interview: Ute Thon