Ein zweifelhafter Freispruch

US-Studie stellt schädliche Nebenwirkungen durch Silikon-Implantate in Frage  ■ Von Rainer Kirchhefer

Wie gefährlich sind Brustimplantate? Frauen, deren Brüste durch ein Silikonkissen vergrößert oder nach einer Krebsoperation ersetzt wurden, beklagen erhebliche Nebenwirkungen – während einige ÄrztInnen die Unschuld des Silikons betonen. Diese Milliarden-Dollar-Streitfrage zwischen Patientinnen, Plastischen Chirurgen und den Herstellern der Brustformer wird seit Jahren in Schadensersatzprozessen behandelt – und in der Regel zugunsten der Patientinnen entschieden.

Das könnte sich jetzt ändern. Kürzlich bescheinigte eine US- ForscherInnen-Gruppe dem Silikonbusen in der angesehenen Fachzeitschrift New England Journal of Medicine Unbedenklichkeit. ÄrztInnen der Mayo Clinic in Rochester im US-Bundesstaat Minnesota durchforsteten die Krankenakten von 749 Frauen – das sind alle, die in der Kleinstatdt Olmsted County zwischen 1964 und 1991 ein Brustimplantat erhalten hatten – nach einem Zusammenhang zwischen Kunstbusen und Krankheit. Die Suche blieb erfolglos. Die Silikonträgerinnen litten ebenso häufig an verschiedenen Bindegewebserkrankungen, Autoimmunkrankheiten und Krebs wie die nichtoperierten Nachbarinnen.

Für Marita Eisenmann-Klein, Chefärztin für plastische Chirurgie am Regensburger Caritas-Krankenhaus, bestätigt die neue Studie nur die Ergebnisse anderer Untersuchungen. Anfang Juli traf sich in Regensburg unter ihrer Leitung eine der Vereinigungen von Plastischen ChirurgInnen zur ersten „Europäischen Consensus Konferenz“ und sprach das künstliche Material vom Verdacht frei, Krankheiten auszulösen. Wenn dieser Freispruch stimmte, wäre ein Entschädigungsverfahren in den USA in Frage gestellt. Um weitere Schadensersatzprozesse zu vermeiden, füllten die Hersteller des verruchten Materials insgesamt 4,25 Milliarden US-Dollar in einen Entschädigungsfond. 128 Millionen sind für Ausländerinnen bestimmt. Von dieser Summe können alle Frauen profitieren, die vor dem 1. Juli 1993 Silikonkissen erhielten, sowie deren Kinder, die jetzt oder später Beschwerden haben. Bis Dezember müssen sie sich beim US-Bezirksgericht in Birmingham, im US-Bundesstaat Alabama, melden. Aber ob der Deal wirklich zustandekommt, ist ungewiß.

Je mehr Frauen sich melden, desto geringer ist der Anteil am Geldpaket – und desto geringer ist auch die Wahrscheinlichkeit, daß man sich tatsächlich einigt. Denn wenn wirklich die versprochenen Entschädigungssummen von 100.000 bis 1 Million Dollar gezahlt werden sollen, müßte der Fond auf 16 Milliarden Dollar aufgestockt werden, schätzt Eisenmann-Klein, die europäische Patientinnen vor dem US-Gericht vertritt. Wer was beweisen muß, erscheint derzeit ungeklärt. Die eine Seite behauptet, der Schuldspruch über das Silikon sei nicht wissenschaftlich belegt. So klagte die Chefredakteurin des britischen Fachmagazins, Marcia Angell, in einem Kommentar, Gerichte hätten „gesammelte Anekdoten“ als Beweise akzeptiert. Für Emil Tschöpe, Arzt am Berliner Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, ist hingegen auch durch die neue Studie „ein begründeter Verdacht nicht ausgeräumt“. Außerdem hätten die Hersteller ihre Prothesen nicht ausreichend auf Nebenwirkungen überprüft, bevor sie in den Handel kamen. Aus diesem Grund sprach die US-amerikanische Gesundheitsbehörde ebenso wie das – inzwischen aufgelöste – Bundesgesundheitsamt (BGA) die Empfehlung aus, Silikon-Implantate nicht zu rein kosmetischen Zwecken zu verwenden.

An dieser Vorsichtsmaßnahme hat sich auch nach Veröffentlichung der neuen Studie nichts geändert. „Von einer Entwarnung würde ich nicht sprechen“, meint Emil Tschöpe vom Berliner Arzneimittelinstitut, das aus dem BGA hervorging. Selbst die AutorInnen der Studie geben an, daß für ein statistisch eindeutiges Ergebnis 62.000 Frauen mit einem Silikonimplantat und eine doppelt so große Kontrollgruppe über zehn Jahre untersucht werden müßten. Erst dann könne man über die äußerst seltenen Krankheiten richtig urteilen.

Marita Eisenmann-Klein, die den Zusammenhang zwischen Silikon und Krankheit psychologisch erklärt(„die Frauen suchen einen Grund für ihre seltenen Krankheiten und beschuldigen daher das Implantat“), räumt ein, daß in einigen Fällen der Ausbruch der Leiden durch die Operation beschleunigt wurde. Wie häufig diese schwerwiegenden Silikon-Nebenwirkungen vorkommen sollen, kann niemand genau sagen. Zwar gibt es eine Meldestelle an der Regensburger Klinik, wie Ursula Wolf von der Selbsthilfegruppe silikongeschädigter Frauen berichtet, es gelänge allerdings nicht jeder Betroffenen, in dieses Register aufgenommen zu werden.

Einen völligen Freispruch kann die US-Studie auf keinen Fall aussprechen. Denn die häufigste Nebenwirkung des Silikonimplantats wurde nicht untersucht. Bei relativ vielen Frauen – die Zahlenangaben schwanken zwischen drei und siebzig Prozent – wächst um die Silikoneinlage eine Kapselfibrose herum. Diese äußerst schmerzhafte Nebenwirkung wird dann auf zwei verschiedene Arten behandelt. Entweder wird das Implantat ausgewechselt – nach Angaben von Wolf tragen einige schon die dritte Einlage – oder aber die feste Kapsel wird mit einem kräftigen Handgriff gesprengt. Diese Therapie verschafft zunächst Linderung, ist aber wegen ihrer zum Teil drastischen Folgen eigentlich nicht zulässig: Denn neben der Kapsel platzt häufig auch das Implantat, und das Silikon-Gel breitet sich aus. In der Folge entzündet sich das Gewebe in der Umgebung der Brust. Es wurden sogar sogenannte „Silikonome“ – mit Körpergewebe umkapselte Silikontröpfchen – in entfernten Körperteilen nachgewiesen.

Marita Eisenmann-Klein hingegen vermutet hinter der Klageserie die ebenso effektive wie lukrative Tätigkeit von Anwaltskanzleien: „Die schießen ein Produkt nach dem anderen vom Markt.“ Sie befürchtet, daß „es bald kein Silikon mehr gibt“. Aus Angst vor weiteren Prozessen könnten die Hersteller die Silikon-Produktion aufgeben. Betroffen wären nicht allein Frauen. Das Material wird auch in anderen Bereichen der Medizin eingesetzt – beispielsweise als Gelenkersatz, Gleitmittel für Spritzen und als Hoden-Imitat. Nebenwirkungen wurden von diesen Produkten bislang nicht berichtet. Einen Ersatzstoff gibt es nicht.