Durchschnittene Achillesferse

■ Die „Fleetinsel in Hamburg“ als Thema einer stadthistorischen Kritik

Wenn man den Fleethof, den dreieckigen Bürokomplex an der Stadthausbrücke, betritt, um einen Blick auf das glasüberdeckte Atrium zu werfen, begegnet einem im Innenraum ein höchst unfreundlicher Wachmann an einem Schreibtisch und ein einsames Büroschild. Ansonsten gähnt in dem siebengeschossigen Renommee-Objekt die große Leere. Über ein Jahr nach seiner Fertigstellung hat sich ein verlorener Mieter für das Objekt begeistert und auch die „übergeordnete Bedeutung“ als „Durchgangsbauwerk und Verteiler (...) für die angrenzenden Stadtbezirke“ (Architekt Bernhard Winking über sein Gebäude) mag sich vielen Passanten nicht so recht erschließen. Kleine, unter Arkaden geduckte Glastüren am Ende ehemaliger Fußwege haben oft den Effekt, daß Fußgänger lieber einmal um das Gebäude herum gehen, anstatt die vorgeblich öffentliche Passage durch den Fleethof zu benutzen.

Gemeinsam mit dem Hotel Steigenberger (Architekt Volkwin Marg) und dem Ensemble von Speicherbauten und Kontorhäusern an der Admiralitätstraße gehört der Fleethof zur sogenannten Fleetinsel zwischen Stadthausbrücke und Ludwig-Erhard-Straße (ehemals Ost-West-Straße), Alster- und Bleichenfleet. Dieser nach dem Krieg viele Jahre brach liegende Ort im Herzen Hamburgs wird nun, nach seiner vorläufig endgültigen Bebauung, in dem Band Fleetinsel in Hamburg einer gründlichen Kritik unterzogen.

Ein Kunsthistoriker (Hermann Hipp), ein Architekturkritiker (Gert Kähler), ein Denkmalschützer (Frank Pieter Hesse) und ein Chronist der Geschichte des Kontor-Ensembles von einem Abrißobjekt zum Zentrum zeitgenössischer Kunst (Janis Mink) finden allerdings übereinstimmend wenig lobende Worte für das Resultat des Jahres 1993. Hipp, der die Geschichte des Ortes von 810 an darlegt, wendet sein Urteil noch sarkastisch ins scheinbar Positive, wenn er resümiert, daß die Architekten und Stadtplaner an diesem Ort „sehr dicht am genius loci“ seien, wenn sie die historische Textur einfach mißachten oder beliebig verdrehen, denn dies sei an diesem Ort schon immer so gewesen.

Harscher fällt da schon das Urteil des Denkmalschützers aus, der die „fehlende Rücksichtnahme auf stadthistorische Strukturen“ bemängelt, den Backstein als hilflose Anleihe an traditionelle Kontorhausarchitektur kritisiert und sich abschließend wünscht, daß Städtebau sich gegenüber dem „glücklicherweise nicht endenden Gang der Erkenntnis offener“ zeigen möge, damit „Stadtgeschichte nicht nur schriftlich überliefert werden kann“.

Es ist ein höchst oberflächlicher Umgang mit gewachsener städtischer Struktur, der diese Herren so erzürnt. Denn nachdem in der Ausschreibung eines städtebaulichen Wettbewerbs von 1980, der die Neustrukturierung der heutigen Fleetinsel miteinbezog (1. Preis: von Gerkan, Marg und Partner), die Geschichte des Ortes überhaupt nicht präsent war, wurde in den folgenden Jahren viel stadthistorisches Material ans Licht befördert, welches in der letztendlichen Planung nur als verwischtes Echo noch auftauchte. So gilt den Autoren die Entwertung der Ellerntorsbrücke, die heute in der Hausfront des Fleethofs endet, und die als „Lebensader der Hansestadt mindest tausend Jahre als wichtigste Ost-West-Verbindung über die Alster diente“ (Hipp) ebenso als Beweis stadthistorischer Schlamperei wie „ein undifferenziertes Hamburg in Backstein“ (Hipp), welches zeigt, daß Städteplaner und Architekten mehr „am Bild einer romantisierten Fleetarchitektur interessiert sind“ als an einer Auseinandersetzung mit denkmalpflegerischen Aspekten (Hesse). Und daß das einzige Beispiel einer Fleetbebauung mit Speicherfronten aus dem 19. Jahrhundert heute noch steht, ist dem energischen Widerstand seiner Bewohner und keineswegs einer weitsichtigen Stadtplanung zu verdanken.

Aber auch der Architekturkritiker Gert Kähler findet an den Neubauten wenig Gefallen. Als architektonisches „Schwarzbrot“ bezeichnet Kähler die „investorenfreundliche Architektur“ aus Klinker und Glas und lobt gerade noch den „guten Durchschnitt“, der den Stadtwanderer nicht ärgert.

Der ausführlich bebilderte Band zur durchschnittenen Achillesferse der Innenstadt ist dennoch keine „Abrechnung“ geworden, denn Kritik in Hamburg gibt sich servil. Aber wer die Zwischentöne in dem informativen Themenband lange ausklingen läßt, dem verhelfen sie zusammen mit den neu gewonnenen Informationen zu einem weit schärferen Bild einer halbwegs mißglückten Baulösung.

Till Briegleb

Christians Verlag, 92 Seiten, 29,80 Mark