■ Das neue demokratische Südafrika kann sich auf Dauer nicht vom krisengeschüttelten, großen Kontinent fernhalten
: Die Lasten eines Modellstaats

Der Moment war für ganz Afrika ein Lichtblick: damals, vor drei Monaten, als Südafrika in Nelson Mandela einen strahlenden neuen Präsidenten mit Weltruhm und Charisma bekam. Ein Land, das sich vereint, statt sich zu entzweien; ein lange als Inbegriff kommunistischer Weltrevolution verschrieener Machtwechsel, der friedlich und (fast) ohne Blutvergießen vonstatten geht; ein in der Haftanstalt zum Politiker mit Statur herangewachsener Präsident, der mit den Parteigängern seiner ehemaligen Wärter am Kabinettstisch Platz nimmt – all dies wurde noch wenige Jahre zuvor für unmöglich gehalten. Aber schon damals war es fast eine Selbstverständlichkeit. Alles andere wäre die Revolution gewesen – Mandelas Amtsübernahme war der erste Schritt einer neuen Routine.

Inzwischen scheinen die Hochzeiten der Apartheid bereits eine Ewigkeit zurückzuliegen. Schwarze Arbeiter streiken wegen unerfüllter Versprechungen ihrer Regierung, und das wahrhaft Bemerkenswerte daran ist nicht, daß es Erwartungen gibt und diese enttäuscht werden, sondern daß die Erwartungen an den Staat gerichtet werden, den die Menschen als Motor der Veränderung begreifen, also als Verbündeten, und nicht als Bastion des Beharrens, als Gegner. Von wie vielen Ländern ließe sich ähnliches sagen?

Obwohl es überhaupt nicht zu den Prioritäten der Regierung Mandela gehört, wird Südafrika durch dieses Setzen auf Selbstverständlichkeiten zum internationalen Modellfall. Und das bringt Lasten mit sich. Wenn dereinst die Frage einer Erweiterung des Kreises ständiger Mitglieder im Weltsicherheitsrat wieder diskutiert werden sollte, wird der Kandidat Afrikas Südafrika heißen – wer spricht denn noch von Nigeria, das von einer Militärclique in den Bürgerkrieg geführt wird? Wenn dereinst die von Deutschland und Frankreich aufgeworfene Frage einer ständigen internationalen Militärtruppe zur Eindämmung afrikanischer Kriege auf den Tisch kommt, wird Südafrika darin eine führende Rolle angeboten werden – wer will denn überall Franzosen aufmarschieren sehen?

Bisher spricht wenig dafür, daß ein auf dem Silbertablett angebotener Großmachtstatus bei Mandelas Regierung auf großen Jubel stößt. Ähnlich wie in Deutschland besteht in Südafrika ein alter Konsens darüber, daß das Land seine nationale Identität aus dem Umgang mit seiner einmaligen inneren Verfaßtheit gewinnt; dieser Konsens ist vermutlich das dauerhafteste Erbe der Apartheid-Ära. Ihn zu brechen und statt dessen außenpolitische Abenteuer zu suchen hieße auch ein Stück Kapitulation vor der Aufgabe des gesellschaftlich so notwendigen Zusammenwachsens.

Doch auf Südafrika drückt ein großer, krisengeschüttelter Kontinent, gegenüber dem eine Abschottung weder möglich noch vertretbar wäre. Sollte Mandela seine Amtszeit bis 1999 voll wahrnehmen, kommt auf ihn eine schwierige Bewährungsprobe zu. Dominic Johnson