■ Morgen ist Präsident Nelson Mandela drei Monate im Amt. Die riesigen Erwartungen konnte die neue Regierung noch nicht befriedigen - das Vertrauen der Bevölkerung in den ANC bröckelt.
: "Neues Südafrika" - alte Bürokratie

„Neues Südafrika“ – alte Bürokratie

Hernus Kriel, vor Südafrikas ersten demokratischen Wahlen noch Polizeiminister und inzwischen Ministerpräsident der südafrikanischen Provinz Western Cape in Kapstadt, breitete hilflos die Arme aus, lächelte entwaffnend und erklärte seinem Besucher: „Selbst wenn ich über einen Haushalt verfügen würde, selbst wenn ich Ihre Organisation finanziell unterstützen wollte, ich könnte es nicht. Denn ich habe bisher nicht einmal ein Scheckbuch, über das ich als Ministerpräsident verfüge.“ Kriel, Mitglied von Frederik W. de Klerks Nationaler Partei, ist nicht der einzige, der mit leeren Händen dasteht. In der ökonomisch wichtigsten Provinz Pretoria-Witwatersrand-Vereeneging (PWV) rund um Johannesburg kann Wirtschafts- und Finanzminister Jabu Moleketi drei Monate nach Amtsantritt auf ganze vier Mitarbeiter zurückgreifen.

Noch schlimmer: Weder er, Kriel noch andere Minister der Provinzregierungen dürfen Beamte anheuern – dazu müssen erst die gesetzlichen Grundlagen geschaffen werden. Die Finanzmittel, die noch zu Zeiten des alten Südafrika für die Provinzen bereitgestellt wurden, flossen sinnigerweise an die Provinzverwaltungen und Homelands, die formell mit den Wahlen aufgelöst wurden.

Drei Monate sind vergangen, seit Nelson Mandela im Union Building von Pretoria die Geschäfte übernahm. Doch vom „Neuen Südafrika“ ist nicht nur wenig zu sehen, die neue Regierung droht im Behördendschungel verloren zu gehen, der noch aus Apartheid-Zeiten stammt. Andrew Feinstein, Provinzparlamentarier in der Region um Johannesburg und enger Mitarbeiter von Wirtschafts- und Finanzminister Moleketi: „Wir hoffen, im August oder September so weit zu sein, daß wir wirklich anfangen können.“

Derweil ist in manchen Bereichen schon fast Verzweiflung eingezogen. „Überall, wo etwas neu geschaffen werden soll, wo neue Minister ein Amt übernommen haben oder alte Verwaltungen umstrukturiert werden sollen, hapert es“, klagt in Kapstadt Howard Gabriel vom „Regional Economic Forum“, in dem Gewerkschaften, Unternehmer und Politiker nach Gemeinsamkeiten bei der Zukunftsentwicklung suchen. Dabei drängt die Zeit, wie auch Feinstein eingesteht: „Die Leute warten darauf, daß etwas geschieht, sie wollen Veränderungen sehen.“

Auf nationaler Ebene soll Jay Naidoo, vor den Wahlen Chef des mächtigen Gewerkschaftsbundes Cosatu, die Umsetzung des „RDP“ vorantreiben – jenes „Wiederaufbau- und Entwicklungsprogramms“, auf dem der Wahlkampf des „African National Congress“ (ANC) beruhte und mit dem während der kommenden zehn Jahre 2,5 Millionen Arbeitsplätze und eine Million Wohnungen geschaffen werden sollen. Aber in der Kommission mit Sitz in Pretoria geht es immer noch drunter und drüber. Naidoo bemüht sich derweil um die mächtigen Generaldirektoren der einzelnen Ministerien. Laut bisherigen bürokratischen Regeln muß jeder Minister auf die Spitzenbeamten zurückgreifen, um mit Kollegen zu kommunizieren. Folgt der Generaldirektor dem nicht, stoppt er de facto den korrekten Amtsweg und verhindert den Weisungs- und Informationsaustausch. So trifft Naidoo sich regelmäßig mit dem erlauchten Kreis von rund 30 Spitzenbürokraten. Neben ihm und dem Protokollanten gibt es dabei nur noch einen Nicht-Weißen: Den Mitarbeiter, der die Klarsichtfolien des Overhead-Projektors auswechselt.

Längst nicht alle Bürokraten unterwerfen sich willig den neuen Herren. Ein Umzug der PWV-Provinzverwaltung von Pretoria nach Johannesburg etwa, so beschied der Generaldirektor der neuen Länderregierung, sei unmöglich. Der Grund: Für die 4.800 Beamten seien keine Büros zu finden – Tatsache war, daß die Provinzverwaltung nur 1.600 Beamte beschäftigt. Der Umzug des Hauscomputers, so ein weiteres Argument, würde 7,5 Millionen Mark kosten. In Wahrheit besitzt die Verwaltung keinen eigenen Computer und benutzte den Rechner des Finanzministeriums mit.

Neben den bürokratischen Hemmschuhen tauchen jetzt plötzlich auch gesetzliche Hindernisse auf. Rechtsberater des ANC entdeckten, daß in der auf fünf Jahre gültigen südafrikanischen Übergangsverfassung der Eigentumsbegriff so weit gefaßt wurde, daß selbst Stadtentwicklungspläne kaum umgesetzt werden können. Wenn etwa eine Schule an einer Stelle gebaut werden soll, wo bisher Wohnhäuser stehen, werden danach horrende Entschädigungssummen fällig.

Politiker in den Länderregierungen überlegen deshalb bereits, ob mit Hilfe von Ermächtigungsgesetzen ein sogenannter „Planungshighway“ geschaffen werden kann. Danach könnten Ministerpräsidenten in Extremfällen kurzerhand selbst entscheiden und komplizierte juristische Auseinandersetzungen umgehen. Aber wie das Beispiel von Ministerpräsident Tokyo Sexwale in Johannesburg zeigt, ist auch dieser Weg mit Fettnäpfchen gepflastert. Hinter den Kulissen schusterte Sexwale der Firma Stocks & Stocks einen Riesenauftrag für den Bau von Billigwohnungen zu. Das Unternehmen hatte sich schon zu Apartheid-Zeiten mit dem Bau von „Matchbox- Häusern“ hervorgetan – viele wurden in Kapstadt vor einigen Wochen schlichtweg plattgeblasen, als ein heftiger Sturm die Gegend heimsuchte. Peinlich für den Ministerpräsidenten.

Sexwale wurde Opfer der Verführungskünste, die Unternehmer im „Neuen Südafrika“ an den Tag legen. Denn während es in der Bürokratie noch hapert, hat sich die Wirtschaft längst umgestellt. „Wenn hier in Südafrika die Roten Khmer ans Ruder kämen, die Unternehmer wären innerhalb von 48 Stunden deren beste Freunde“, wundert sich ein ANC-Funktionär über deren Anpassungsfähigkeit.

„Häuser in Kapstadt, Autos – was mir schon alles angeboten wurde, ist unglaublich,“ erzählt Andrew Feinstein und fügt hinzu, „stellen Sie sich vor, wie schwer jemand das Neinsagen fallen muß, wenn er vor den Wahlen gerade mal 600 Mark verdient hat.“ Doch nicht nur die unteren Kader sehen sich solchen Verlockungen ausgesetzt. Nelson Mandela wird von Industriebossen zur Jagd in einem Wildreservat eingeladen. ANC- Generalsekretär Cyril Ramaphosas Angelleidenschaft ist ebenfalls bekannt – folglich braucht auch er selten für die Forellenjagd mit einer selbstgebunden Fliege in die eigene Tasche zu greifen.

Kein Wunder, daß drei Monate nach dem Beginn des „Neuen Südafrika“ die Moral in manchen ANC-Kreisen kräftig gesunken ist. Die Angestellten des Shell-Hauses, wie das ANC-Hauptquartier in Johannesburg im Volksmund heißt, warten immer noch auf einen Bescheid über ihre Zukunft. Ihre Chefs, größtenteils zu Parlamentariern gewählt, verließen nach Mandelas Amtsantritt sang- und klanglos ihre Büros – in manchen Fällen, ohne sich von den Mitarbeitern zu verabschieden.

Jeremy Cronin, Vordenker der Kommunistischen Partei, kritisierte denn auch bereits in aller Öffentlichkeit die „Fat Cats“, die fetten Katzen. ANC-Funktionäre würden sich dem Luxus dicker Gehälter hingeben, während sich in Südafrikas Alltag seit den ersten demokratischen Wahlen nichts geändert habe. Mandela versprach darauf, zumindest über eine Kürzung von Minister- und Parlamentariergehältern nachzudenken.