Jeder dritte fällt durch

Trotz sinkender Minusquote ist der Führerschein in Berlin noch am schwierigsten zu machen / Man braucht hier auch die meisten Ausbildungsstunden  ■ Von Peter Lerch

Der Schweiß fließt in Strömen. Gar nicht so einfach, sich bei der Bullenhitze auch noch zu konzentrieren. Rechts vor links, unten durch und oben drüber, dabei kuppeln, schalten und die Ampel im Auge behalten – Donnerwetter! Eine doppelte, nein dreifache Anstrengung, gleichzeitig den Verkehr mit all seinen Ampeln, Pfeilen, obskuren Fahrbahnmarkierungen und den zahlreichen anderen vierrädrigen Verkehrshindernissen zu beobachten und dabei noch auf die Anweisungen des Fahrlehrers zu hören, der einem sagt, wo es langgeht: „Denk dran, hier gilt wieder rechts vor links!“ Oder der einen ermahnt, den korrekten Schulterblick beim Rechtsabbiegen nicht zu vergessen.

Und während ich mich schon zum zehnten Male frage, wie die Typen in den Wagen um mich herum in Teufels Namen wohl an ihre Pappe gekommen sein mögen, steigt der Fahrlehrer neben mir in die Eisen, weil ich beinahe bei Rot über die Kreuzung gekachelt wäre.

Eine ganz normale Fahrstunde? Nicht ganz, denn aufgrund der sehr hohen Verkehrsdichte in Berlin sind an die Fahrschüler höhere Anforderungen gestellt als in anderen Gegenden, zum Beispiel auf dem Land, meint Erich D. von der Tempelhofer Fahrschule Eulert. „Darüber hinaus ist deutlich zu beobachten, daß in Berlin ganz besonders aggressiv gefahren wird“, meint der Fahrlehrer. Das schlägt sich auch in den Prüfungen nieder: Für Berlin hat der Fahrlehrerverband eine durchschnittliche Fahrstundenzahl von 54 Fahrstunden errechnet! Besondere Schwierigkeit in Berlin: die Stadtautobahn mit ihren ganz speziellen Regeln und Eigenheiten, zu denen gehört, daß sie häufig keinen Beschleunigungsstreifen hat.

Allerdings hat es bei der praktischen Führerscheinprüfung im vergangenen Jahr in Berlin weniger Versager gegeben. Erstmals seit vielen Jahren sank die Durchfallquote um nahezu fünf auf 37,6 Prozent, wie der Sprecher des TÜV Berlin-Brandenburg, Günther Nauer, mitteilte. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 27 Prozent. Innerhalb der EG gilt die Bundesrepublik Deutschland als das Land, in dem die Fahrerlaubnis am schwierigsten zu erlangen ist. Und innerhalb Deutschlands ist man eben als Fahrschüler in Berlin besonders gekniffen.

Im Zuge aller möglichen Vereinheitlichungen im Rahmen der EG plant der Europarat auch für die Fahrprüfungen eine Harmonisierung. Einige Länder in der Gemeinschaft – wie Frankreich, Griechenland und Irland – stellen an ihre Fahrschüler nicht ganz so große Anforderungen, wieder andere – wie Belgien, Dänemark und Schweden – verlangen ähnlich viel von den Prüflingen wie die Deutschen. Da sind Kompromisse gefragt. Doch die deutschen Fahrlehrerverbände wollen an dem hohen Standard der Ausbildung festhalten.

Von 82.000 Fahrschülern, die im vergangenen Jahr den theoretischen Teil der Prüfung bestanden haben, rasselten gleich 30.996 durch die praktische Prüfung. Unter den strengen Augen der Dekra- oder TÜV-Prüfer haben viele der Prüflinge ihre Nerven nicht unter Kontrolle. Typische Fehler bei den Fahrprüfungen: Fahrspurwechsel ohne den verlangten Schulterblick, Vorfahrtsfehler durch Nichtbeachten von Fahrradfahrern, zu geringer Abstand zum Vorderauto, Probleme beim Spurwechsel auf der Stadtautobahn.

Wie Erich D. von der Fahrschule Eulert in Tempelhof beklagt, sinke in letzter Zeit die Verkehrsmoral – häufig auch zum Nachteil der Fahrschüler. „Die Autofahrer nehmen keine Rücksicht und vergessen häufig, daß sie auch mal eine Fahrprüfung zu absolvieren hatten.“ Geschwindigkeitsbegrenzungen würden generell von zu vielen Autofahrern als unverbindliche Behördenvorschläge betrachtet, so daß man eine verkehrsberuhigte Zone mit einer vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h insbesondere daran erkenne, daß fast alle mit 50 km/h durchbrettern.

Übrigens: Seit der Wiedervereinigung im Herbst 1990 haben 1,8 Millionen Menschen aus den neuen Bundesländern den Führerschein erworben. Von wegen blöde Ossis.