Mit allen Mitteln gegen „Verräter“

Der brutale Krieg in Ruanda wurde auch durch ein Netzwerk rassistischer Hetzmedien ermöglicht / Das neue Ruanda will mit internationaler Hilfe die alte Propaganda überwinden  ■ Von Dominic Johnson

Nicht nur materiell, auch seelisch ist Ruanda ein zerstörtes Land. Zur Hinterlassenschaft von Krieg und Völkermord kommt eine Tradition der Greuelpropaganda, ohne die die Massaker an 500.000 Menschen nicht möglich gewesen wären. Lange Zeit war die ethnische Verteufelung des Gegners nicht skandalös, sondern normal. Wenn diese Normalität erhalten bleibt, ist der nächste Revanchekrieg nur eine Frage der Zeit. Darum ist die Schaffung einer neuen, objektiven Medienlandschaft in Ruanda nicht nur wünschenswert, sondern überlebenswichtig.

Das 1973 durch einen Putsch an die Macht gelangte Habyarimana- Regime übernahm die rassischen Stereotypen der belgischen Kolonialzeit, in denen – so ein Dokument des belgischen Außenministeriums von 1961 – die Hutu als „geborene Bauern, die nichts anderes anstreben“, definiert wurden, die Tutsi als das „hochgewachsene“ Herrenvolk und die winzige Minderheit der Twa als „unbekümmert, streitlustig und lebensfroh“ galten. Mit der Übernahme dieser Klischees durch ein Regime, das seine Legitimität auf den Sturz der Tutsi-Monarchie 1959 gründete, sollten die Hutu zu Wachsamkeit gegenüber ihren Erzfeinden angehalten werden. „Die um 1960 von den Belgiern ausgesprochenen Ideen wurden von den Ruandern sorgfältig aufbewahrt, um in den 80er Jahren griffbereit wieder aufzutauchen“, schreibt der Ethnologe Michel Elias. In dieser Situation hatte die Welle der Demokratisierung, die Afrika Ende der 80er Jahre erfaßte, in Ruanda einen paradoxen Effekt. Andernorts war die Öffnung der Medien und die Erlaubnis, politische Parteien zu bilden, ein Schritt zur Demokratie – in Ruanda war es ein Kriegsinstrument.

Ende der 80er Jahre schossen in Ruanda erstmals private Medien aller Art aus dem Boden. So gründete zum Beispiel im Mai 1990 der aus Gisenyi stammende Geschäftsmann Hassan Ngeze die Wochenzeitung Kangura, die zwar sofort verboten wurde, aber im November, nach Ausbruch des Bürgerkrieges mit der Ruandischen Patriotischen Front (RPF), wieder erscheinen und fortan den Rang eines verfolgten Verkünders unterdrückter Wahrheiten genießen durfte. Diese Wahrheiten sahen so aus: „Jeder Hutu muß wissen, daß die Tutsi-Frau überall für ihre Tutsi-Ethnie arbeitet. Daher ist jeder Hutu ein Verräter, der eine Tutsi heiratet, der eine Tutsi zur Mätresse hat, der eine Tutsi als Sekretärin hat oder sie fördert. Jeder Hutu muß wissen, daß unsere Hutu- Töchter ehrenhafter und ihrer Rolle als Frau, Ehefrau und Mutter bewußter sind. Sind sie nicht hübsch, sind sie nicht gute Sekretärinnen und ehrlich?“ Das waren die ersten zwei von „Zehn Geboten“, die Kangura im Dezember 1990 in einem „Aufruf an das Hutu-Gewissen“ veröffentlichte.

„Jeder Hutu ist ein Verräter, der mit einem Tutsi Geschäfte macht“, hieß es unter anderem weiter, und: „Die Hutu müssen aufhören, Mitleid mit Tutsi zu haben.“ Diese Ideologie war von der des Regimes im Prinzip gar nicht weit entfernt, wie auch viele der extremistischen Hutu-Organisationen Ruandas im Freundes- und Familienkreis des Präsidenten entstanden sind.

Habyarimana ließ einige von Kangura verbreitete „Wahrheiten“ wie die, daß die Tutsi-Kämpfer der RPF kleine Hakenkreuzmale in ihrer Haut trügen, auch im Staatsrundfunk laufen. Binnen kürzester Zeit war Ruandas Medienlandschaft von brutalster Propaganda bestimmt. Der lange in Ruanda tätige Entwicklungshelfer Helmut Asche spricht von „Denunziation durch politische Pornographie, die zur menschlichen Abwertung des politischen Gegners beitragen sollte“. So etwas sei in der „prüden ruandischen Gesellschaft“ – Ruanda ist das Land Afrikas mit dem höchsten Katholikenanteil – besonders wirksam.

Da Ruandas Bevölkerung zu 70 Prozent aus Analphabeten besteht, war das Radio ungleich wichtiger als die Presse. Der Staat hatte hier ein Monopol bis Juli 1992, als die RPF ihren eigenen Sender, Radio Muhabura, gründete. Gerade mittels des Staatsradios war das Habyarimana-Regime Meister darin, durch inoffizielle Verbindungen Extremisten zu fördern, von denen es sich dann offiziell distanzieren konnte.

So strahlte das Staatsradio am 3. März 1992 einen der Liberalen Partei zugeschriebenen „Warnaufruf“ vor einem angeblich bevorstehenden Massaker an Hutu-Persönlichkeiten durch Tutsi im südöstlichen Bugesera aus. Einen Tag später zogen Hutu-Milizionäre in Bugesera gegen die örtlichen Tutsi zu Felde und töteten nach offiziellen Angaben 152 Menschen. Der Direktor der staatlichen Medienbehörde „Orinfor“, Ferdinand Nahimana, wurde daraufhin in die ruandische Botschaft in Bonn versetzt. Wenig später war Nahimana Mitgründer des wohl berüchtigtsten Kriegsradios der Welt. Der private Radiosender RTLM (Radio-Television Libre des Mille Collines) entstand im Juli 1993, als das wenig später unterzeichnete Friedensabkommen zwischen Regierung und RPF bereits perfekt war. Er stand der extremen Hutu-Partei CDR (Koalition zur Verteidigung der Republik) nahe, die gegen das Abkommen opponierte und deren Interahamwe-Jugendmilizen hauptverantwortlich für die Massaker der letzten Monate sind. Die Anti-Tutsi-Propaganda von Radio Mille Collines führte dazu, daß schon Anfang 1994 viele Ruander einen unmittelbaren Neuausbruch des Bürgerkrieges fürchteten.

Am 4. April rief Radio Mille Collines dazu auf, die im Zuge des Friedensabkommens zur Premierministerin ernannte Agathe Uwilingiyema zu stürzen – „mit allen Mitteln“. Zwei Tage später erfolgte der Absturz des Flugzeugs der Staatschefs Ruandas und Burundis, woraufhin die Interahamwe-Milizen mit Pogromen gegen Regimefeinde und Tutsi begannen und Uwilingiyema zu ihrem ersten prominenten Opfer machten. Die späteren Aufrufe von RTLM wie „Die Gräber sind noch nicht voll“ oder „Die Säuberung von Tutsi soll am 5. Mai beendet sein“ sind um die Welt gegangen. Als die RPF am 4. Juli Kigali einnahm, zogen sich die Mitarbeiter des Senders samt ihrer Anlage nach Gisenyi zurück. Im Radio wurden dann Ruandas Hutu zur Flucht nach Zaire aufgerufen – wer zu Hause bleibe, sei ein Verräter, hieß es. Zur Zeit ist unklar, ob Radio Mille Collines nicht noch unregelmäßig aus Zaire weitersendet. Seine Verantwortlichen werden von der neuen Regierung Ruandas als Kriegsverbrecher gesucht.

In Ruanda hat die siegreiche RPF mittlerweile das Staatsradio übernommen. Internationale Hilfe zum Aufbau einer neuen Medienlandschaft fließt reichlich: Die internationale Journalistenorganisation „Reporters sans frontières“ betreibt mit UNO-Finanzhilfe im zairischen Goma einen Informationssender für die Flüchtlinge (siehe Interview); die deutsche Bundesregierung ist dabei, in Kigali moderne Sendeanlagen zu errichten. Es sind erste zaghafte Schritte, ohne die aber eine Versöhnung in Ruanda undenkbar ist.