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■ Offener Brief„Eine amtliche Ehrenerklärung“

An das Landgericht Mannheim, 6. Strafkammer, Herrn Dr. Müller

Sehr geehrter Herr Dr. Müller, erlauben Sie mir in aller Demut und Respekt, die einem deutschen Richter zukommen, die Frage, ob Sie und Ihre Beisitzer noch alle Tassen im Schrank haben. Sie haben zwar einen rechtsradikalen Antisemiten, der den Holocaust leugnet, wegen Volksverhetzung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, doch kommt die Urteilsbegründung einer amtlichen Ehrenerklärung für den Mann gleich. Sie haben ihm nicht nur zugute gehalten, daß er seit fast 30 Jahren verheiratet ist und eine Tochter hat, die ihm „bereits einen Enkel geschenkt hat“, sie haben ihm auch ein „berechtigtes Interesse“ bei seinem Treiben bescheinigt und nur moniert, daß er sich in der Wahl der Mittel ein wenig vergriffen hat. Dabei haben sie als „positiv“ gewertet, daß es dem Angeklagten darauf ankam, „die Widerstandskräfte im deutschen Volk gegen die aus dem Holocaust abgeleiteten jüdischen Ansprüche zu stärken“, wobei Sie auch „die Tatsache“ gewürdigt haben, „daß Deutschland auch heute noch, rund 50 Jahre nach Kriegsende, weitreichenden Ansprüchen politischer, moralischer und finanzieller Art aus der Judenverfolgung ausgesetzt ist, während die Massenverbrechen anderer Völker ungesühnt blieben“.

Sie werden mit diesem Urteil in die Geschichte eingehen. Sie haben gezeigt, daß der Nationalsozialismus seinen eigenen Tod im Geschäftsbereich der 6. Strafkammer des Mannheimer Landgerichts überlebt hat und daß man nicht „Heil Hitler!“ und „Juda verrecke!“ brüllen muß, um sich als Neonazi zu qualifizieren, Sie schaffen es mit einem Urteil, das die „Widerstandskräfte im deutschen Volk gegen jüdische Ansprüche“ ebenso stärkt, wie es der Mann tat, über den Sie symbolisch zu Gericht saßen, während Sie längst mit ihm am selben Stammtisch Platz genommen hatten.

Wieder einmal müssen deutsche Widerstandskräfte gegen jüdische Ansprüche mobilisiert werden. Das hat schon einmal beinahe geklappt. Und mit Ihrer Hilfe soll es noch einmal versucht werden. Doch was machen Sie, wenn es diesmal wieder schiefgeht? Wenn die Juden hinterher wieder mit Ansprüchen kommen? Sie wissen doch: Ein paar bleiben immer übrig, und diesen ist dann alles zuzutrauen. Überlegen Sie es sich gut. Diesmal steht nicht nur die deutsche Ehre auf dem Spiel, es geht auch um Ihre Altersversorgung!

Mit vielen Grüßen vom Berge Zion Henryk Broder

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