Die Underdogs

In Berliner U-Bahnen patrouillieren Zivilschützer mit Miethunden  ■ Aus Straußberg Michaela Schießl

Nils der Pisser wimmert leise, wenn seine Kollegen von der Dobermannschicht zur Maloche aufbrechen. Bomber, Dino, Wilma, und Arko vom Steinweg würdigen ihn, den Neuen, keines Blickes. Aufgeregt toben sie im Zwinger, ungeduldig darauf, abgeholt zu werden. Endlich kommt Eckhard Kleemann um die Ecke, mit der Arbeitsklamotte in der Hand. Der Zwinger wird einen Spalt weit geöffnet, die Schnauze fährt in den stählernen Beißkorb. „Artig, mein Kleiner, gaanz lieb, jetzt geht's auf Arbeit“, schmeichelt der 43jährige und zurrt den Lederriemen fest. Vorsichtig führt er die kraftstrotzenden Hunde einen nach dem anderen zum Minibus. Geschmeidig gleiten die blauschwarzen Leiber in die Transportkisten. Sie wirken selbstbewußt, ganz so, als wüßten sie, daß sie ihren Unterhalt und den ihres Herrn verdienen. Lehrlinge wie Nils gelten noch nichts in der Hierarchie – Pisser bleibt man bis zum ersten Arbeitstag. „Die Hunde muß man mit Sie ansprechen“, sagt Kleemann. „Das sind Profis.“ Auch er ist mittlerweile einer: Eckhard Kleemann betreibt einen Schutzhundeverleih.

Die Idee zum „Rent a dog“ kam dem 43jährigen, als ihm die Milz riß. „Damals hab' ich noch Schweine gehabt. Beim Futterabladen fiel ein Sack auf mich drauf, ich kam nicht mehr hoch.“ Zeit zum Umdenken also, eine bekannte Übung für den Mann aus Straußberg, eine Kleinstadt 40 Kilometer östlich von Berlin. Maurer hat er gelernt, wurde dann Melker, bestand seine Rinderzuchtprüfung mit „Eins“ und ließ sich weiterbilden zum „Klauenpfleger“ – eine Art Fingernagelmaniküre für Rinder.

Als die Arbeit knapp wurde, die LPGs dichtmachten, kam der Tierliebhaber aufs private Schwein. Bis die Fleischpreise fielen – und er auf den Bauch. Im Krankenhaus blickte er in die Zukunft, und sah schwarz. Kein Zweifel, die Welt da draußen war schlecht. So viel Kriminalität seit der Wende – da mußte doch eine Marktlücke sein.

Fünf abgerichtete Dobermänner hatte er damals, für den Hundesport und zum Sauenhüten, als er von der Versteigerung hörte: Die einstige Volkspolizei mußte ihre Hunde verkaufen. Weil sie Ostbeißer waren, keine Westbeißer: „Die waren auf Oberarmbiß trainiert, im Westen ist der Unterarmbiß vorgeschrieben. Was ein Segen“, sagt Kleemann. Praktisch im Ausverkauf ersteigerte er 25 Hunde für 500 Mark das Stück, ein Spottpreis. Unter 2.000 Mark ist ein Profi mit Schutzhundprüfung sonst nicht zu haben. Seine Frau Christine fiel fast in Ohnmacht, als er heimkehrte. Doch schließlich ließ sie sich überreden, Die Schweine gingen, die Maurer kamen, und kurz drauf standen an die hundert großzügig geschnittene Zwinger auf dem Gelände in Straußberg-Klosterdorf. Da blickte Kleemann auf seinen Kauf, und ihm wurde Angst. „Was die Biester allein jeden Tag verfressen...“ Er bewarb sich als Hundeführer bei der Wachschutzfirma „Industrie und Handelsschutz“, just als die beschloß, eine U-Bahn- Hundestaffel aufzubauen. Kleemann war der Mann der ersten Stunde. Als Subunternehmer stellte er die Hunde und bildete sie zum U-Bahn-Dienst aus.

Nur etwa die Hälfte der Hunde haben das Nervenkostüm für die U-Bahn, sagt er. „Der Lärm, die vielen Leute, das künstliche Licht, das packt nicht jeder.“ Und natürlich hat jeder Hund seinen eigenen Hundeführer. „Die gehorchen nur, wenn das Vertrauensverhältnis stimmt.“ Und gehorchen müssen sie: die Tiere sind Kampfmaschinen. Kleemann zuckt die Schultern. Unnatürlich findet er es nicht, Hunde scharfzumachen. „Das ist halt kein Streichelzoo, diese Hunde sind Waffen. Es sind Arbeitshunde. Und die gehen gern arbeiten.“ Dafür werden sie von ihm geliebt und mit dem nötigen Respekt behandelt. Wer von der Arbeit kommt, findet einen blitzsauberen Zwinger vor, mit Futter und frischem Wasser. In jeder Zelle ist eine extra Hundehütte zum Zurückziehen. Im Winter gibt's warmes Wasser zum Saufen und eine Matratze aus Sägespänen. „Immer wieder regen sich sogenannte Tierschützer über Arbeitshunde auf, von wegen, das sei nicht artgerecht. Und selbst haben sie Schoßhündchen, die nie einen Wald sehen, fett gefüttert werden, den ganzen Tag allein in der Wohnung sind und nur zweimal am Tag kurz pissen gehen dürfen.“

Total geschafft hat Rita, die Riesenschnauzerhündin, nach der Schicht den Napf geplündert und sich in der Ecke zusammengerollt. Aber wehe, ein Fremder nähert sich dem Zwinger. Ohne Vorwarnung wirft sich das schwarze Kraftpaket sabbernd und geifernd gegen die Gitterstäbe, und die Rottweiler Dina und Daisy von Grönegon überschlagen sich vor Wut. „Die Rottweiler lassen gar nicht mit sich reden“, erklärt Kleemann. Diese Rasse akzeptiert nur einen Chef, ihren Hundeführer. Noch unleidlicher sind die weißen Kaukasenhunde. Er zeigt auf Allees, eine riesige, wunderschöne Hündin. Ihr Gesicht ist verletzt. „Die hat nachts ein Autohaus bewacht und wurde von Dieben niedergestochen.“ Zwei Stiche in Kopf und Hals, doch Allees ist kampfeslustig. Eisig wie ein Wolf schaut sie unbewegt auf die Besucher und knurrt bedrohlich. „Unterordnung können sie da vergessen“, weiß Kleemann.

Angst, sagt Kleemann, darf man nicht zeigen. „Wenn die das merken, können Sie heimgehen.“ Vor „Einstein“ hat Kleemann Manschetten. Der Dobermann haßt ihn. Und auch Arko, der Polizei- Schäferhund, würde nur zu gern die Hand beißen, die ihn füttert. Er fletscht die Zähne, wenn Kleemann sich nähert. Nur nichts anmerken lassen. Einmal jedoch half keine Haltung mehr. Kleemann mußte in einen Zwinger flüchten, als er einen Dobermann beim Ausladen zu früh vom Beißkorb befreite. Das Tier griff an. Wie ein geölter Blitz flitzte Kleemann in den Käfig und schloß sich ein, bis seine Frau zu Hilfe kam und ihren Liebling zur Ordnung rief. „Die Dobermänner“, lacht Kleemann, und das Goldkettchen klirrt, „sind Christines Strecke.“ Was zunehmend zum Problem wird. Die Hunde haben Vorlieben: Die eine Hälfte gehorcht eher Kleemann, die andere Christine. Was bedeutet: Immer müssen beide da sein. „Urlaub ist nicht drin. Aufstehen um 3, um 4 ist die erste Schicht. Die letzte kommt gegen 1 Uhr nachts rein.“ Ein Hundeleben. „Ist mir egal, ob ich rauskomm' oder nicht. Ich mag Tiere lieber als Menschen.“

Im Hause Kleemann ist alles auf Tiere eingestellt. Zwei goldene Löwen bewachen die Einfahrt, die Köpfe der vier anerkannten Schutzhundrassen – Dobermann, Rottweiler, Schäferhund und Riesenschnauzer – zieren das Tor. Cilly, der Mastino, begrüßt faltig lächelnd die Gäste. Er ist der einzige harmlose Haushund auf dem Gelände. Die gute Stube ist voll mit Tier-Nippes: Fotos, Porzellanhunde, güldene Dackel, Bronzeadler. Über dem Fernseher hängt eine Wildsau, ein hohler Fasan bewacht den Piepmatz im Vogelkäfig. Selbst in der Uhr ist ein Kuckuck.

Und doch: Bei Schutzhundverleih, da denkt man an die geknechtete Kreatur, die in dunklen Verliesen auf Kundschaft wartet. „So ein Quatsch“, sagt Kleemann. „Unsere Hunde werden in der Öffentlichkeit eingesetzt. Die müssen picobello aussehen, sonst würde es Proteste hageln.“ Außerdem sind die Tiere sein Kapital – wenn sie krank sind, verdient er nicht. „Das kann ich mir gar nicht leisten. 5.000 Mark Futterkosten pro Monat, 8.000 Versicherungspolicen, dazu der Tierarzt, die Transporter und die Fahrer, das muß wohl kalkuliert werden. Ein Schutzhund bekommt nur zwei Mark die Stunde.“ 54 Hunde sind pro Tag in sechs Schichten unterwegs, neun Hunde pro Schicht. Allerdings muß er zwölf pro Schicht bereitstellen, falls mal ein Hund krank wird oder ein Hundeführer. „Da kann nicht ausgetauscht werden, die U-Bahn-Hunde müssen ihre feste Bezugsperson haben.“

Die Hundeführer werden von der Wachschutzfirma ausgebildet, und oft ist Kleemann dabei, wenn nachts in verlassenen U-Bahn- Schächten mit Beißarm der Ernstfall geübt wird. Meist merkt er auch ohne Augenschein, wenn die Chemie zwischen Herr und Hund nicht klappt. „Wenn ich sehe, daß die Führer die Hunde nach Feierabend noch schurigeln, nehm' ich sie ihnen weg.“ Wer sich nicht zum Underdog eignet, wird anderweitig eingesetzt. Etwa in Freibädern, um Nachtbadern die Spritztour zu vermasseln. Oder um Gewerbegebiete zu schützen. Eine Rottweilerhündin residiert nachts in einer Villa. „Seit die Besitzerin überfallen worden ist, hat sie Angst. Und ein Hund im Haus ist ihr lieber als eine Waffe.“ Nur selten kommen Anfragen von Privatpersonen, und die werden von Kleemann erst getestet. Wenn ihm jemand zwielichtig vorkommt, rückt der Hund nicht aus. „Was weiß ich, wofür die den einsetzen wollen.“

Kleemann kauft die meist schon ausgebildeten Hunde von überall zusammen, aus Holland, Ungarn, aus Rußland, Doch auch von Privatleuten, die nicht klarkommen mit den angriffslustigen Tieren. Alle Neulinge – Pisser also – werden erst mal vier Wochen beobachtet. Man weiß nie, was die hinter sich haben. Mehr als einmal wurden schlimme Beißer geliefert, die nicht in den öffentlichen Dienst übernommen werden können. Erste Station ist der Auslauf. Nach ein paar Tagen packt Kleemann die zehn Meter Leine und geht Gassi. Erst beim dritten Mal wird der Hund vorsichtig getestet. Sitz, Platz, Fuß. „Ein Schutzhund muß stehen. Wenn der den Schwanz einzieht, kannste's vergessen. Er muß immer Sieger bleiben. Dann werden sie Männer.“ Dabei arbeitet Kleemann in Wahrheit lieber mit Frauen. „Die Weibchen sind reeller im Kopf, robuster, schlauer und nicht so machtgeil wie die Rüden.“ Diese Eigenschaften läßt sich der Hundeverleiher was kosten. Denn die Weibchen fallen zweimal pro Jahr aus wegen Läufigkeit. „Wir haben sie am Anfang gespritzt, bis eine Hündin eine Gebärmutterentzündung bekam. Ich war bei der Totaloperation dabei – seither bin ich bedient. Das muß keine mehr mitmachen.“

Frei haben die Hunde, wenn der Hundeführer frei hat. „Manchmal nehmen die die Hunde sogar mit nach Hause“, sagt Kleemann. „Ich seh' das sofort an den Häufchen, wenn die wieder 'ne halbe Bratwurst bekommen haben“, schimpft Christine. Daheim bekommen sie Hochleistungs-Trockenfutter. „Der Hund muß doch fit sein.“ Damit er seinen Fitneß-Fraß nicht in den U-Bahn-Schächten abwirft, darf er mindestens zweimal täglich für 20 Minuten in den Park – auf natürlichen Boden, wie die Vorschrift sagt. In der Pause darf er ganz Hund sein.

Eineinhalb Jahre ist das Mindestalter für einen Schutzhund, und mit sieben gehen die meisten in Rente. „Der Job ist anstrengend, besonders der Streß in der U- Bahn.“ Scharek zum Beispiel ist fertig. Der Schäferhund patrouillierte am Kottbusser Tor. Nun ist er nervenschwach und bekommt statt Hochleistungsfutter das Gnadenbrot bei seinem Hundeführer. Und während Scharek seine Pension genießt, machen sich die Schäferhunde Anusch von Eunotor, Aki von den Galoher Höhen, Hanko der Ex-Bulle und Walko von der Odereck fertig zur Schicht.