■ Frieden ohne Waffen?
: Die Zeit ist nicht reif

Ich bin auch einer von denen, die – geläutert durch die Ereignisse der jüngsten Zeit – zur Einsicht gelangt sind, daß die Zeit noch nicht reif ist, um ohne Waffen in Europa Frieden zu schaffen. Als Österreicher aus der Steiermark stehe ich noch immer unter dem Eindruck der Ereignisse des Jahres 1991, als vierzig Kilometer vor meiner Haustür die jugoslawische Volksarmee mit Panzern und Jagdbombern die slowenische Freiheitsbewegung im Blut zu ertränken versuchte. Daß das Blutbad in Slowenien, von dem unfaßbaren Geschehen in Bosnien ganz zu schweigen, in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Fall der Berliner Mauer und zur samtenen Revolution in Prag steht, sei nur nebenbei erwähnt. Darin liegt auch die Tragödie von 1989.

Nun rede ich keinesfalls den Strategen des Kalten Krieges das Wort, wenn ich meine, daß Freiheit, was auch immer darunter zu verstehen ist, auch mit Waffen verteidigt werden muß. Gerade das jugoslawische Vorgehen in Slowenien hat den Beweis erbracht, daß militärische Übermacht wenig auszurichten vermag, wenn das gesellschaftspolitische Fundament faul und morsch ist. Als Österreicher weiß ich allerdings auch, daß es nicht die vielbeschworene Neutralität, sondern der stillschweigende „Nichtangriffspakt“ zwischen Ost und West war, der Österreich davor bewahrt hat, in den Krieg hineingezogen zu werden.

Allmählich stellt sich heraus, daß der Kalte Krieg in unseren Breiten eine große Illusion genährt hat: daß Kriege nur in Afrika oder Asien geführt werden, nicht jedoch in Europa. Angesichts der neuen Unwägbarkeiten sind jetzt in Europa die Politiker gefordert. Die Antwort auf diese Herausforderung läßt sich nur im sicherheitspolitischen Diskurs finden, keinesfalls im Jargon der Militärs. In den letzten Wochen haben einige Ereignisse angedeutet, wohin die Reise geht: die Clinton-Rede am Brandenburger Tor über die neue Partnerschaft zwischen den USA und Deutschland, das Defilee der Deutschen auf den Champs-Élysées, das Karlsruher Urteil, das Abschütteln der französischen Empfindlichkeiten gegenüber der Nato.

Als herausragendes Schlüsselmoment sticht der Nato-Gipfel von Anfang Januar ins Auge. Dort machte der US-Präsident in einer Rede im Brüsseler Rathaus unmißverständlich klar, daß die Europäer – aus diversen Gründen – ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen hätten. Nebenbei wurde als Wartezimmer für Osteuropa die Nato-Partnerschaft aus der Taufe gehoben.

Als neues – altes – Gravitationszentrum kristallisiert sich immer mehr Brüssel heraus, wo EU, WEU und Nato zu Hause sind. Es mag schon sein, daß alle drei Institutionen Kinder des Kalten Krieges sind. Das Eurokorps ist heute noch immer nicht mehr als eine Ehrenkompanie, die WEU ein Papiertiger. Auch dürfte bei der EU-Revisionskonferenz im Jahr 1996, wenn die Frage einer gemeinsamen Verteidigung auf der Tagesordnung steht, der große Wurf ausbleiben. Alternative Strukturen lassen sich jedoch keine ausmachen. Michael Jungwirth

Der Autor ist Brüssel-Korrespondent für die „Kleine Zeitung“ in Graz/Österreich und die „Dolomiten“ in Bozen/Italien.