■ Anschläge gegen türkische Einrichtungen häufen sich
: „Nicht die Handschrift der Rechten“

In den vergangenen zwei Wochen haben unbekannte Täter drei türkische Einrichtungen in Baden- Württemberg in Brand gesteckt. Die Polizei vermutet hinter den Anschlägen von Horb am 30. Juli, Sindelfingen am 9. und Singen in der Nacht zum 11. August eine „gemeinsame Linie“, die ihrer Meinung nach auf Täter aus dem linken türkischen Spektrum hinweist. Es könne jedoch auch nicht ausgeschlossen werden, daß deutsche Rechtextremisten hinter den Anschlägen stecken.

Die taz sprach mit Cem Özdemir vom Landesvorstand der Grünen in Baden-Württemberg über die Attentate und die zunehmend gewalttätigen Konflikte zwischen Türken und Kurden in der Bundesrepublik. Cem Özdemir ist 1965 als Sohn türkischer Eltern in Schwaben geboren. Er kandidiert für die Bündnisgrünen direkt im Wahlkreis Ludwigsburg und auf Platz sechs der baden-württembergischen Landesliste für den Bundestag.

taz: Gibt es eine Erklärung dafür, daß die jüngsten Anschläge sich auf Baden-Württemberg konzentrieren?

Cem Özdemir: Ich kenne keine. Was die drei Vereine verbindet, ist, daß sie alle aus einem eher rechten bis rechtsextremistischen, also nationalistischen türkischen Spektrum kommen.

Es wird noch in zwei Richtungen ermittelt, einmal in die rechte deutsche, zum anderen in die linke türkische.

Die Handschrift der Attentate scheint nicht die der Rechtsradikalen zu sein. Die Ziele sind mit Bedacht ausgesucht. Man hat darauf geachtet, daß keine Menschen anwesend waren. Es ging deutlich darum, einen Warnschuß abzugeben. Daß es sich um Kurden aus dem PKK-Umfeld handelt, ist nicht wahrscheinlich. Nach meiner Beobachtung hält sich die PKK zur Zeit zurück.

Wurde ein Anschlag auf türkische Einrichtungen bekannt, war bisher schnell klar, daß deutsche Rechtsextremisten dafür verantwortlich waren. Inzwischen machen sich zunehmend Verwirrung und Hilflosigkeit breit. Geben die Zielscheiben der Attentate Anhaltspunkte auf die jeweilige Tätergruppe?

Grundsätzlich kann man feststellen, daß Rechtsradikale auf alle Nichtdeutschen einschlagen, während die kurdischen und türkischen Gruppen ihren Zorn gegen tatsächliche und vermeintliche Repräsentanten ihrer politischen Gegner richten. Rechtsradikale suchen sich Wohnungen aus, um die Bewohner mehr oder weniger im Schlaf zu überraschen, zu verletzen oder zu ermorden. Türkische und kurdische Gruppen versuchen dagegen eher, Symbole zu treffen. Die Ziele sind unterschiedlich, die Konsequenzen aber gleichermaßen katastrophal und menschenverachtend.

Was halten Sie von der These, daß es in der Bundesrepublik mindestens zwei parallellaufende Kriege gegen türkische Deutsche gibt, die tiefer gehen, als Außenstehende im Moment noch ahnen?

Ich warne grundsätzlich vor der Wahrnehmung, es gebe einen monolithischen Block der Türken in Deutschland. Daß das nicht stimmt, machen nicht zuletzt die Anschläge deutlich. Alle ethnischen und politischen Konflikte in der Türkei spiegeln sich auch in der Bundesrepublik wider. Was solche Anschläge zur Konsequenz haben, ist, daß viele Türken sich von allen Seiten eingekreist und bedroht fühlen. Aus der einen Richtung fühlen sie sich von der PKK angegriffen, auf der anderen die türkischen linken Gruppen und die Rechtsradikalen sowieso. Hinzu kommt das Empfinden, daß die Bundesrepublik eine türkeifeindliche Politik betreibt.

Gewinnen die Konflikte innerhalb der türkischen und kurdischen Community im Moment an Schärfe? Werden Attentate wie die von Baden-Württemberg zum Alltag gehören?

Solche Anschläge passieren analog zu Geschehnissen in der Türkei. Dort hat es zuletzt einige Übergriffe des Staates gegen die revolutionäre Linke gegeben. Und je mehr sich die Lage in der Türkei zuspitzt, desto öfter wird es in der Bundesrepublik zu Gewalttaten kommen. Das bedeutet im Umkehrschluß: Wenn man etwas dagegen tun will, kommt man an der Türkei nicht vorbei. Diese Radikalisierung kann man aber auch an ganz kleinen Dingen festmachen. Wo früher unpolitische Türken und Kurden zusammen in der Kneipe saßen, trennt man sich heute nach Ethnien. Sogar Leute aus der zweiten Generation überlegen sich inzwischen, wo sie ihren Kebab kaufen. Ist der Imbißverkäufer ein Kurde, unterstützt er die PKK?

Wie alt ist diese Entwicklung?

In den vergangenen vier, fünf Jahren hat sich das massiv zugespitzt.

Es gibt die These, daß kurdische und linke türkische Gruppen mit deutschen Rechtsextremisten zusammenarbeiten.

Die Kurden, auch aus dem PKK-Umfeld, mit denen ich gesprochen habe, weisen das natürlich empört zurück. Ich kann mir eine solche Kooperation auch nicht vorstellen. Trotzdem lachen sich die Rechtsradikalen natürlich ins Fäustchen.

Sind die Kurden und linken Türken nicht auch bequeme erste Tatverdächtige nach Anschlägen wie denen in Baden-Württemberg?

Die Boulevardzeitungen und konservative Medien springen sicher gerne auf diesen Zug auf. Es heißt dann, die schlagen sich eben selber die Köpfe ein. Aber auch Leute wie meine Eltern unterscheiden nicht mehr zwischen links, rechts oder PKK. Sie sagen einfach, es ist gefährlich in Deutschland.

Mündet das in Überlegungen, Deutschland zu verlassen?

Das wäre der letzte Schritt. Zunächst ziehen die Leute sich zurück.

Das Urteil gegen NPD-Chef Deckert, genauer: die Urteilsbegründung, hat in den vergangenen Tagen Schlagzeilen gemacht. Wie wurde der Skandal in der türkischen Community aufgenommen?

Bisher gab es besonnene Stimmen, die gesagt haben, es gibt nur einige durchgeknallte Rechtsradikale unter der deutschen Bevölkerung. Und es gibt Polizei und Gerichte, die dazu da sind, uns zu schützen. Aber wenn jetzt die Gerichte sich auf die Seite der Rechten stellen, bleibt die Frage, worauf man sich eigentlich noch verlassen kann. Das Vertrauen in die letzte Instanz, die Gerichte, ist völlig zerstört.

Was können wir in Deutschland tun, um die Konflikte zwischen Türken und Kurden etwas zu entschärfen?

Das wichtigste wäre, Kurden und Türken in der Bundesrepublik an einen Tisch zu bringen. Es gibt erste Versuche dazu in Bremen und Hessen, die auch gut funktionieren. Denn die große Mehrheit der hier Lebenden lehnt diese Gewalt ab. Interview: Silvia Schütt