Taschengeld für Abschiebehäftlinge

■ Verwaltungsgericht pocht auf Gewährung von monatlich 80 Mark / Geklärt ist noch nicht, welche Behörde zahlen muß

Eine Lektion in Sachen Menschenrechte haben jetzt Verwaltungsrichter den zuständigen Behörden des Landes erteilt. Nach einem Beschluß des Verwaltungsgerichts Berlin vom 27. Juli haben Abschiebegefangene grundsätzlich einen Rechtsanspruch auf Geld- und Sachleistungen nach dem Asylbewerber-Leistungsgesetz (AsylbLG). Mit ihrem Urteil, das der taz vorliegt, verpflichtete die achte Kammer das Land Berlin – vertreten durch das Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben –, einem Insassen des Tiergartener Abschiebegewahrsams in der Kruppstraße ein monatliches Taschengeld in Höhe von 80 Mark zu gewähren. Das Gericht entsprach damit in Teilen dem Eilantrag des Häftlings zum Erlaß einer einstweiligen Anordnung. Die Summe ist demnach „längstens bis zur Entlassung oder der Abschiebung aus der Abschiebehaft“ auszuzahlen (Aktenzeichen VG 8 A 285.94). Trotz unmißverständlicher Formulierungen im Asylbewerber- Leistungsgesetz erhalten die rund 170 Abschiebehäftlinge in Berlin bisher keinen Pfennig.

Das unanfechtbare Urteil ist nach Angaben des Berliner Asylrechts-Experten Georg Classen der bundesweit erste richterliche Beschluß, der sich auf die aus dem AsylbLG abzuleitenden Ansprüche von Abschiebegefangenen bezieht. Wie die taz weiter erfuhr, ist vor wenigen Tagen vor der 17. Kammer des Verwaltungsgerichts ein Urteil mit ähnlich lautendem Inhalt ergangen (Aktenzeichen VG 17 A 219.94).

In der Urteilsbegründung der achten Kammer heißt es, der Antragsteller sei „vollziehbar zur Ausreise verpflichtet“ und demgemäß nach Paragraph 1 AsylbLG Leistungsberechtigter der Grundleistungen nach Paragraph 3 AsylbLG. „Die Kammer kann weder dem Wortlaut des Gesetzes noch dem Sinn und Zweck des neben den Sachleistungen zu erbringenden Taschengeldes einen Hinweis darauf entnehmen, daß Abschiebehäftlinge von dieser Regelung auszunehmen wären.“ Es bedeute für den Abschiebegefangenen einen wesentlichen Nachteil, „wenn er für eine längere Zeit als eine Woche auf die Befriedigung seiner persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens“ verzichten müsse. Denn der Begriff der persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens knüpfe an die nähere Ausgestaltung des notwendigen Lebensunterhalts im Sinne von Paragraph 12 des Bundessozialhilfegesetzes an, „der die Führung eines Lebens ermöglichen soll, das der Würde des Menschen entspricht“.

Gleichwohl lehnten die Robenträger die vom Antragsteller geltend gemachten Ansprüche auf zusätzliche Ernährung, Gesundheits- und Körperpflege, Reinigung der Wäsche sowie Bekleidung nach dem AsylbLG ab. In dem Antrag fehle es „an der unerläßlichen Substantiierung des individuellen Bedarfs des Antragstellers, wobei sowohl die in der Haft zur Verfügung stehenden Leistungen als auch die Ausstattung des Antragstellers selbst mit den Bedarfsgegenständen im einzelnen dargelegt werden müßten“. Ein Passus, den Classen wie folgt interpretiert: „Auch hier besteht ein Anspruch, nur hätte der Antragsteller seinen Bedarf ganz detailliert aufschlüsseln müssen.“ Die Richter pochten hier offenbar auf „listenmäßige Aufstellungen“ über eigenen Besitz und Leistungen der Anstalt.

Seit Anfang Juli protestieren Abschiebehäftlinge immer wieder mit Hungerstreiks und anderen Aktionen auf die zum Teil menschenunwürdigen Zustände im Polizeigewahrsam. Die Innenbehörde, die ihre zunächst gemachten Zugeständnisse bisher nur halbherzig erfüllte, reagierte auf den Widerstand mit Verlegungen von Häftlingen, die sich bei den Protesten besonders hervorgetan hatten.

Kaum ist Recht gesprochen, gibt es Verwirrung darüber, wer nun eigentlich zur Kasse gebeten wird. Die Senatssozialverwaltung hat nach Angaben ihrer Sprecherin Rita Hermanns zunächst einmal die Innenbehörde in einem Schreiben auf die jüngste Rechtsprechung aufmerksam gemacht und wartet nun auf Antwort von Heckelmann (CDU). Das Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben komme generell als Kostenträger nicht in Frage, da sich die abgelehnten Asylbewerber nicht mehr in Einrichtungen der Behörde befinden, so Hermanns.

Zwar verpflichteten die Richter in dem vorliegendem Fall das Landesamt, das Taschengeld zu zahlen. Nach Auffassung von Classen könne aber auch der Polizeipräsident, der für die Abschiebehaft zuständig ist, künftig zur Zahlung herangezogen werden. Aus dem Hause des Innensenators war dazu zunächst keine Stellungnahme zu bekommen. Hermanns sagte weiter, falls der Polizeipräsident nicht zahle, dann sei „nach der gängigen Praxis“ und dem im Landesrecht festgeschriebenen Grundsatz der dezentralen Leistungsgewährung das Sozialamt Tiergarten „automatisch zuständig“. Sozialstadtrat und CDU-Landesgeschäftsführer Dieter Ernst darf sich also schon mal freuen. Frank Kempe