■ Mit der Warschauer Hütte auf du und du
: Erbe des Zaren

Warschau (taz) – Als Luigi Luccini, Chef des italienischen Hüttenkonzerns Luccini Siderurgica Spa eine Absichtserklärung für ein Joint-venture unterzeichnete, atmete die Belegschaft der „Warschauer Hütte“ auf. Das Stahlwerk ist einer der größten Staatsbetriebe Polens und stand vor dem Konkurs. Die Italiener übernahmen 51 Prozent der Aktien und erklärten sich bereit, 150 Millionen Ecu zu investieren.

Zweieinhalb Jahre sind seither vergangen. Von dem Geld hat die Hütte nichts gesehen. Statt dessen wird sie bestreikt, mehrere Arbeiter traten sogar in den Hungerstreik. Der Bürgerrechtler und ehemalige Sozialminister Jacek Kuron und der Danziger Bischof Tadeusz Goclowski führen Vermittlungsgespräche, schuld an der Affäre jedoch ist ein Toter: Nikolaus I., seines Zeichens Zar aller Russen. Er hatte 1846 einen Teil der heutigen Hütten-Grundstücke als Militäreigentum des russischen Reiches ins Warschauer Grundbuch eintragen lassen.

Die heutige Regierung übersah den nie getilgten Grundbucheintrag, Industrieminister Marek Pol ging davon aus, daß es sich um „polnische Erde“ handle. Das konnte der Zar zwar nicht mehr bestreiten, wohl aber die Richter der Zivilkammer im Warschauer Stadtteil Zoliborz. Marek Pol: „Die Richter hatten ihre Zweifel, ob das Gelände nicht vielleicht immer noch Manövergelände der russischen Armee ist.“

Was witzig klingt, hatte dramatische Folgen: kein Grundstück, kein Kredit. Kein Kredit, keine Investitionen. Keine Investitionen, keine Erträge. Und ohne Erträge keine Lohnerhöhungen. So leben die Arbeiter im Durchschnitt von 250 Mark im Monat, mit der ständigen Drohung im Nacken, arbeitslos zu werden. – Für einen Teil des Geländes haben die Italiener inzwischen den Grundbucheintrag erhalten – zwei Jahre brauchten die Richter, um dahinter zu kommen, daß Nikolaus II. vor fast hundert Jahren starb. Sogar Maciej Manicki, Vorsitzender des Gewerkschaftsdachverbandes OPZZ, glaubt der Geschäftsführung, daß die Investitionsverzögerung etwa 80 Millionen Mark gekostet hat. Klaus Bachmann