Stahl bringt wieder Geld

Die deutsche Rohstahlproduktion steigt an / Die Einführung einer neuen Technik steht bevor / Der Arbeitsplatzabbau geht weiter  ■ Aus Düsseldorf Walter Jacobs

In den deutschen Stahlhütten brummt es wieder. Auch im Juli stieg die Rohstahlproduktion nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Vergleich zum Vorjahr um 5,6 Prozent an. Im ersten Halbjahr 1994 wurden insgesamt 23,494 Millionen Tonnen hergestellt, das sind acht Prozent mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum. Die ostdeutsche Produktion blieb im Durchschnitt des ersten Halbjahres mit 1,631 Millionen Tonnen (plus 0,2 Prozent) nahezu stabil.

Mit dem Wachstum des Bruttosozialproduktes (BSP) im Inland läßt sich der Produktionsanstieg nicht erklären. In der Stahlbranche kursiert eine „Daumenformel“, so der Stahlexperte des Rheinisch- Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen, Helmut Wienert. Sie besagt, daß bei einem BSP-Zuwachs von 2,5 Prozent der Stahlverbrauch in etwa stagniert. Nach der jüngsten Prognose des Münchner Ifo-Instituts wird das BSP 1994 wohl um zwei Prozent und 1995 um drei Prozent steigen. Für den inländischen Stahlverbrauch versprechen diese Zahlen daher nicht viel. Tatsächlich beruht der gegenwärtige Aufwärtstrend im wesentlichen auf der seit Mitte des letzten Jahres gestiegenen Auslandsnachfrage und auf der Auffüllung der Läger. Dahinter steckt die Erwartung steigender Preise. Die Stahlhändler spekulieren darauf, die jetzt gelagerte Ware in einiger Zeit mit Zusatzgewinnen verkaufen zu können.

Im jüngsten Stahlbericht des RWI heißt es dazu: „Die Belebung der Stahlnachfrage in Westeuropa wird bislang vom Umschwung im Lagerzyklus getragen, so daß früher oder später ein gewisser Rückschlag wahrscheinlich ist.“ Nicht aus spekulativen Gründen, sondern als Ergebnis eines industriellen Aufschwungs wuchs dagegen im vergangenen Jahr der Stahlverbrauch in den USA (plus 20 Prozent) und in China (plus 40 bis 50 Prozent). Davon profitierte die deutsche Stahlindustrie erheblich.

Die höhere Produktivität kostet Arbeitsplätze

Fortschreiben lassen sich diese Exporterfolge nach Auffassung von Branchenkennern allerdings nicht so ohne weiteres. Für die Zahl der Beschäftigten wird die Belebung weitgehend folgenlos bleiben. Der in allen deutschen Stahlunternehmen geplante Arbeitsplatzabbau hält ungebremst an. In der Stahlindustrie in Westdeutschland, die 1989 noch 180.000 Menschen beschäftigte, werden nach der RWI- Prognose „Ende 1995 vermutlich noch 111.000 Arbeiter und Angestellte tätig sein, verglichen mit 131.000 Ende 1993“. In Ostdeutschland kündigt sich ein Rückgang von 13.600 (1993) auf 9.500 (1995) an. Gleichzeitig wird die Rohstahlerzeugung 1995 etwa eine halbe Million Tonnen über der von 1994 liegen. Dieser Produktivitätsschub dürfte zusammen mit der vereinbarten Stagnation der Löhne „zu einer deutlichen Verbesserung der zuvor angeschlagenen Wettbewerbssituation gegenüber ausländischen Anbietern führen“, erwartet das RWI.

Der Präsident der Düsseldorfer Wirtschaftsvereinigung Stahl, Ruprecht Vondran, rechnet damit, daß die Branche, die im vergangenen Jahr noch weit mehr als zwei Milliarden Mark Verlust einfuhr, schon bald durchgehend schwarze Zahlen schreibt.

Weil aber Importe aus Ungarn und der Tschechischen Republik die Preisentwicklung empfindlich zu stören drohen, reagierte der europäische Dachverband der Stahlproduzenten, Eurofer, prompt. Die osteuropäischen Konkurrenten sollen mit einer „Antidumping-Klage“ ausgebremst und vom EU-Markt ferngehalten werden. Vor allem die Formstähle, die als Stützen und Träger in der Bauindustrie Verwendung finden, sind nach Auffassung der westeuropäischen Stahlbosse entschieden zu billig. Durch „Dumpingverkäufe“, klagt die Wirtschaftsvereinigung Stahl, konnten die beiden Länder in diesem Bereich „gut ein Viertel des deutschen Marktes erobern“ – eine Steigerung in wenigen Monaten um fast 17 Prozent. Das EU- Preisniveau sei dabei um „40 bis 50 Prozent“ unterboten worden. Just als sich die Preise in Richtung „Vollkostengrenze“ bewegt hätten, sei die osteuropäische Offensive erfolgt.

Ob es sich bei den osteuropäischen Preisen überhaupt um Dumping handelt – zum mindesten ein Teil der Preisdifferenz erklärt sich schlicht aus dem Lohngefälle –, müssen nun die Gerichte entscheiden. Unterdessen prüft Eurofer unter Federführung der deutschen Stahlindustriellen weitere Klagemöglichkeiten.

Amerikaner mit deutscher Erfindung erfolgreich

Fast epochale Umwälzungen stehen der Stahlindustrie mit technischen Innovationen ins Haus. Das sogenannte „Dünnbandgießverfahren“ könnte den klassischen Walzprozeß bald ablösen. Die neue, „endabmessungsnahe“ Gießtechnik erlaubt eine drastische Verkürzung des Walzvorgangs. Der Herstellungsprozeß – etwa im Bereich der Autobleche – wird dadurch geradezu revolutioniert. Die dünnen Bleche werden heute noch aus den 10 bis 12 Meter langen und 200 bis 250 Millimeter dicken Stahlbrammen gewonnen. Auf sogenannten „Warmbreitbandstraßen“ werden die dicken Stahlblöcke zunächst auf zwei bis 25 Millimeter heruntergewalzt, bevor sie dann im Kaltwalzwerk zum Endprodukt weiterverformt werden.

Bei dem neuen, noch nicht ganz ausgereiften Verfahren wird der flüssige Stahl gar nicht erst in dicke Brammen gegossen, sondern gleich direkt in dünnere Bleche verwandelt. Überall auf der Welt basteln die Techniker an der Umsetzung und Verfeinerung dieser Technik, die von dem Düsseldorfer Anlagenbauer Schloemann- Siemag entwickelt worden ist. Die amerikanische Stahlfirma Nucor Corp. arbeitet schon seit längerem erfolgreich damit. Noch sind nicht alle Stahlgüten auf diesem Weg qualitätssicher herzustellen, aber in dem schon jetzt möglichen Anwendungsbereich ist der Personaleinspareffekt enorm. Während Nucor im Jahr 900.000 Tonnen Warmband mit 450 Leuten produziert, benötigt ein deutscher Hersteller für die gleiche Menge fast dreimal so viele Leute.

Für die ostdeutsche EKO-Stahl AG bedeutet dieses Verfahren möglicherweise die Rettung. Nach dem Ausstieg des italienischen Stahlindustriellen Riva steht die für Eisenhüttenstadt versprochene Warmbreitband-Walzstraße gewiß nur noch auf dem Papier. Es könnte statt dessen in etwa das herauskommen, was die Bremer Hegemann-Gruppe jüngst der Treuhand anbot: ein neues Elektrostahlwerk mit einer Dünnenbrammengießanlage. Von den zuletzt von Riva versprochenen 3.000 Arbeitsplätzen gingen dann noch einmal rund 1.000 flöten. Die Chance, im Wettbewerb auch zukünftig zu bestehen, böte die neue Technik allemal. EKO säße damit in der ersten Reihe der Stahlproduzenten.