Trauer um Neonazi-Opfer

■ Schweigemarsch zum Gedenken an den erschlagenen Gunter Marx

Velten (taz) – Wie viele genau gekommen sind, hat niemand gezählt. Aber fast ein Drittel der Viktoriastraße füllen die Menschen mit den bunten Regenschirmen aus. Die Polizei sagt, zwischen vierhundert und sechshundert seien beim Schweigemarsch dabei. Einige halten Blumensträuße in den Händen. Sie wollen sie an dem Baum niederlegen, wo am vergangenen Samstag Gunter Marx erschlagen wurde, als er nachts mit dem Fahrrad nach Hause fuhr. Seinen Mördern fehlte das Geld für die Disco.

Daß sie aus dem Veltener rechtsradikalen Spektrum kommen, steht für den leitenden Oberstaatsanwalt Erado Rautenberg fest. Der Hauptangeklagte ist für ihn kein Unbekannter. Maik L. mußte sich vor zwei Jahren, als Sechzehnjähriger, bereits wegen einer Vergewaltigung verantworten. Und soweit die Ermittlungen bislang ergeben haben, spielt Gewalt auch im Leben der beiden anderen jungen Männer, die in Untersuchungshaft sitzen, eine große Rolle.

Von jedem der drei läßt sich vermutlich ein Lebenslauf zeichnen, der geprägt ist von mangelnder Fürsorge, Alkohol und Brutalität, aber das interessierte die Veltener am Samstag nicht. Seit zwei Jahren fühlen sie sich von rechten Glatzen drangsaliert.

Da haben auch die von Pfarrer Bernhard Fricke initiierten Kampagnen gegen Gewalt nicht allzuviel gegen ausrichten können. Und auch nach dem Mord an Gunter Marx ist es nicht ruhig in dem zehntausend Einwohner zählenden Ort geblieben. Am vergangenen Dienstag wurde ein Siebzehnjähriger von kahlgeschorenen Gleichaltrigen überfallen.

„Selig sind die Friedfertigen“, den Satz aus der Bergpredigt trägt eine ältere Dame im Regencape wie ein Schild vor sich her. Von der kleinen Rede, die Pfarrer Fricke vor der Gedenkstelle hält, läßt sie sich gerne ermutigen: „Wir müssen lernen, über unsere Angst zu reden und dürfen uns nicht von unseren Gefühlen nach ganz primitiver Rache leiten lassen.“ Noch eine viertel Stunde stehen die Veltener schweigend beisammen. Auf dem Boden vor dem Baum bleibt ein Transparent liegen: „Schöpft aus der Trauer die Kraft, gemeinsam und gewaltfrei die Gewalt zu stoppen“. roga