Totenschiffe – auch in Hamburg?

■ Mysteriöser Untergang eines Frachters / Gewerkschaft fordert Ermittlungen

Die Gewerkschaft Öffentliche Dienste Transport und Verkehr (ÖTV) klagt an: Obwohl die Hamburger Staatsanwaltschaft in dem ARD-Film „Das Totenschiff“ ankündigt habe, gegen die Reederei Beutler Anklage wegen 12-fachen Mordes zu erheben, ist nach Angaben der Gewerkschaft seit Monaten nichts geschehen.

Der Hintergrund: Vor gut vier Jahren, am 11. Februar 1990, geriet der Zementfrachter „MS Scantrader“ in der Biscaya in Seenot. Weil das Schiff völlig überladen war, geriet es im Sturm außer Kontrolle, kenterte und ging unter. 12 Menschen verloren ihr Leben, weil, so die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), „ein skrupelloser Reeder über mehrere Jahre in krimineller Weise sein Schiff überladen ließ“. Die „Scantrader“ fuhr damals für eine Hamburger Tochterfirma der Lübecker Reederei Beutler. Deren Geschäftsführer war Heiner Beutler, Sohn des Lübecker Reeders.

Doch die Fakten des Untergangs seien lange falsch bewertet worden, die Recherche der Unfallursache sei mangelhaft gewesen, meint die ÖTV. Erst der ARD-Dokumentarfilm „Das Totenschiff“, der am 13. Mai 1994 über die Mattscheibe flimmerte, deckte die Hintergründe der Tragödie auf. Angeprangert wurde unter anderem die unzureichende Bemannung und Ausrüstung der sogenannten „Billigflaggenschiffe“ wie der „Scantrader“, die aus Kostengründen in Drittwelt-Ländern gemeldet sind. Die Staatsanwaltschaft nahm, vier Jahre nach der Tragödie, die Ermittlungen wieder auf.

Die ÖTV ist nun über das behördliche Schweigen im Walde seit der Ausstrahlung des Filmes entsetzt. Klaus Meyer von der Abteilung Seeschiffahrt: „Wir erhielten nach dem Films viele Informationen, die die Vermutung aufkommen lassen, daß es sich nicht um einen Einzelfall handelt. Gleichwohl ist öffenlich erkennbar bisher nichts passiert.“ Es sei nicht bekannt, ob und wann das angekündigte Strafverfahren stattfinde soll.

Der Sprecher der Hamburger Staatsanwaltschaft, Rüdiger Bagger, beschreibt die Rolle der Anklagebehörde allerdings anders: „Von Mordanklage ist nie die Rede gewesen. Das muß eine Bewertung des Senders sein.“ Richtig sei zwar, daß es im Vorfeld der Produktion ein Gespräch gegeben habe; dort sei aber nur geäußert worden, daß es ein Verfahren wegen des Verdacht eines Tötungsdeliktes gebe. Doch da reicht die Palette von „fahrlässiger Tötung“ über „Totschlag“ bis zum Mord. Wann das Ermittlungsverfahren abgeschlossen sein werde, konnte Bagger gestern nicht sagen: „Das entzieht sich meiner Kenntnis.“

Der Hamburger SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Peter Kämmerer hat nun die parlamentarischen Mühlen in Gang gesetzt. In einer Anfrage an den Senat verlangt er Aufklärung über das Verhalten der staatlichen Institutionen in Sachen „Totenschiffe“. Peter Müller