Sanssouci
: Vorschlag

■ Mit dem Dampfer durch die Berliner Frauengeschichte / Vorschlag * Flesh and Blood - Tanztheater um die amour fou

Gehen Sie doch mal auf einen Dampfer! Von der Spree zum Landwehrkanal, am Tiergarten vorbei und dann ab durch die Mitte, unter mehr als sieben Brücken hindurch. Und lassen Sie sich dabei einmal die „Herstory“ erzählen. Denn „Herstory“, das ist ihre Geschichte, die Geschichte der Frauen, die hier, an Spree und Landwehrkanal, gelebt und gearbeitet haben. Sie werden erstaunt sein, wie unbedeutend die Geschichte dieser Frauen im Grunde ist!

Denn Stadtgeschichte ist Männergeschichte. Von der Stadtplanung bis zur Häusergestaltung, das war und ist alles in Männerhand. Doch nicht genug damit: Selbst da, wo Berliner Frauen tatsächlich einmal in den Lauf der Geschichte eingegriffen haben, hat die (männliche) Geschichtsforschung alles getan, um dies nur ja zu verschweigen. Deshalb haben sich die Frauen der Berliner Geschichtswerkstatt eigenmächtig auf Spurensuche gemacht. Das Ergebnis: Seit zehn Jahren schippert die Frauen- Dampfergruppe nun schon durch die Berliner Gewässer und erzählt dem stets vollbesetzten Boot gerade diese, von den traditionellen Geschichtsbüchern vergessene und unterschlagene Geschichte: eben „Herstory“.

So erfahren wir etwa, als wir an der Charité vorbeidampfern, daß hier einst Deutschlands erste Medizinprofessorin, Rahel Hirschfeld, gearbeitet hat. Dann, am Theaterviertel von Berlin Mitte angekommen, erinnern wir uns wehmütig an das glorreiche Frauen-Triumvirat [Triumfeminat!, säzzer], das in den Sechzigern, nach Brechts Tod, an der Spitze des Berliner Ensembles stand. Aber die Zeit, als Helene Weigel, Therese Giehse und Ruth Berghaus den Ton angaben, ist längst vorbei – heute ist das BE wieder fest in fünffacher (!) Männerhand.

Nein, Berge haben die Berliner Frauen hier nicht versetzt. Auch das, was die Frauen von der Berliner Geschichtswerkstatt zu Tage fördern, ist eine Geschichte von Details, Anekdoten, kleinen Bewegungen – alles in allem bleibt es ein Zierat zu den großen Umwälzungen, die stets die Männer besorgten. Nein, nicht in der großen Politik haben sie etwas bewegt, aber doch ein Stück Alltags- und Kulturgeschichte geschrieben. Wie etwa jene Hausfrau, die aus einem simplen Blechbehälter und Löschpapier aus dem Schulheft ihres Jungen den Kaffeefilter erfand und dafür 1908 in Berlin das Patent anmeldete. Ihr Name war, nun, Sie wissen's schon: Melitta.

Von der einzigen Frau, die wirklich versucht hat, Politik zu machen, hören wir erst, als wir schon wieder zurück zum Tiergarten fahren. Wir sind an der Stelle, wo Rosa Luxemburg im Januar 1919 im Landwehrkanal versenkt wurde. Als Rädelsführerin der Januaraufstände wurde sie steckbrieflich gesucht. Von der sogenannten Bürgerwehr in Wilmersdorf verhaftet, machten die Männer gleich reinen Tisch und schossen ihr eine Kugel in den Kopf. Die Brücke, die an dieser Stelle über den Kanal führt, hat bis heute keinen Namen. Noch immer konnte der Berlin Senat sich nicht dazu durchringen, der Dame wenigstens auf diese Weise ein Denkmal zu setzen. Und das wird wohl auch so bleiben. Ein Senat, der derzeit Wilhelm-Pieck-Straßen in Torstraßen umbenennt, will gewiß keine Rosa-Luxemburg-Brücke in der Stadt haben. Nichts wie rauf auf den Dampfer und schnurstracks unter Rosa Luxemburgs Brücke hindurch! Andrea Kern

Die nächste Dampferfahrt „Herstory“ von der Berliner Geschichtswerkstatt findet am 25.9. um 15 Uhr statt. Abfahrt an der Hansabrücke, Tiergarten.

VorschlagFlesh and Blood – Tanztheater um die amour fou

„Ich sah sie an, und sie gab den Blick zurück: Wir faßten uns mit den Augen an den Händen.“ Ganz im Sinne dieses Satzes von Tucholsky erforschen fünf Tänzer und Tänzerinnen den ersten Augenblick einer Liebesbeziehung, der mal gewaltig-explosiv, mal still-intensiv die Herzen aus dem Takt bringt. Von fleischlichen Begierden bis zu blutenden Herzen reicht die Palette ihres Tanzstückes „Flesh and Blood“. Die Choreographin Alexandra Bustmann, die 1991 mit dem Choreography Award in London ausgezeichnet wurde, hat an der Hongkong Academy of Performing Arts gearbeitet, bevor sie sich mit befreundeten Tänzern in Berlin an „Flesh and Blood“ machte. Die Tanzgruppe besteht aus dem Spanier Jorge Morro, der Italienerin Silvia Ventura, dem Engländer Edzel Scott, dem Amerikaner Gregory Livingston und der deutschen Choreographin selbst. Der explosive Aufprall, das zaghafte „Ein Schritt vor, zwei zurück“-Schema, das belanglose Nebeneinander zweier Pärchen – alle möglichen Arten menschlicher Ein-, Zwei- und Mehrsamkeit werden skizziert. Fast nebenbei entstehen Definitionen einer möglichen Liebe, wenn beispielsweise Jorge Silvia die Augen zuhält und durchs Leben führt oder Alexandra ihren Partner Edzel auf Händen trägt. „Die Chemie muß stimmen, wenn man eineinhalb Jahre zusammen arbeitet, aber natürlich gab es auch Spannungen, die sich in unserem Stück offenbaren“, resümiert Alexandra Bustmann. So sprengt George einmal das subtil-homoerotische Männerduett von Jorge und Edzel.

Aber nicht Individuen werden gezeigt, sondern Beziehungsmodelle, die entstehen, zusammenbrechen, mutieren. Nicht der einzelne zählt, sondern die Interaktion in der Gruppe und der daraus resultierende Rollenwandel, dem jeder unterworfen ist. Schließlich war es die gemeinsame Freundschaft, die die Profis untereinander jahres- und grenzübergreifend miteinander verbindet und sie zu dieser Produktion veranlaßte.

Tucholskys Gedanken von der Liebe auf den ersten Blick und seinen Folgen füllt dieses Tanzstück mit Fleisch und Blut. Patricia Caspari

Vom 16. bis 21. August um 20 Uhr in der Werkstatt der Kulturen, Wissmannstraße 31–42, Neukölln; vom 25. bis 31. August im Ballhaus Naunynstraße, Naunynstraße 27, Kreuzberg.