„Das ist eine Ente aus dem Sommerloch“

■ SPD-Landesgeschäftsführer Hartung zu den Spekulationen über Daimler-Chef Reuter

Einen Sturm im Wasserglas entfachte der gestrige Bericht des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“, wonach der scheidende Daimler-Vorstandsvorsitzende Edzard Reuter als Kandidat für das Amt des Regierenden Bürgermeisters für 1995 zur Verfügung stünde. Daß Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) als Emissär aufgetreten sein soll, wurde gestern dementiert. Es habe darüber keine Gespräche mit Reuter gegeben, so Nagels Leitungsreferent. Und der CDU-Fraktionsvorsitzende Klaus-Rüdiger Landowsky, angeblich einer Reuter-Kandidatur nicht abgeneigt, meinte: „Ich stehe ohne Einschränkung zum jetzigen und künftigen Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen.“

taz: laubt man einem an diesem Montag veröffentlichten Bericht des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“, gibt es innerhalb Ihrer Partei Stimmen, die den Daimler- Chef Edzard Reuter gerne als Regierenden Bürgermeister einer Großen Koalition nach den Wahlen 1995 sehen wollen.

Rudolf Hartung: Was der „Spiegel“ jetzt berichet, ist eine Ente aus dem Sommerloch. Die Berliner SPD schätzt Reuter sehr. Der Landesvorsitzende Ditmar Staffelt hatte zuletzt versucht, ihn als Wahlmann zur Bundesversammlung zu gewinnen. Mit Bausenator Wolfgang Nagel, der im Artikel zitiert wird, hat das Magazin nicht einmal gesprochen. Mein ironisch gemeinter Vorschlag für die nächsten Wochen: Es gibt ja noch andere frei erfundene Kandidaten, die man gerne in die Debatte einwerfen kann, etwa Klaus Bölling, der jetzt Kreisvorsitzender der SPD-Arbeitsgemeinschaft „Sechzig plus“ in Steglitz geworden ist.

Die Popularitätswerte des derzeitigen Landes- und Fraktionsvorsitzenden Staffelt sinken seit längerem, etwa gegenüber dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU). Angesichts dieses Umstands scheinen Überlegungen über eine Alternative für 1995 doch unausweichlich.

Die Berliner SPD hat sich auf ihrem Landesparteitag Anfang Juli bewußt dafür entschieden, Staffelt mit breiter Mehrheit zum Landesvorsitzenden wiederzuwählen. Es ist völlig klar, daß Staffelt in der Frage einer Berliner Spitzenkandidatur das erste Wort hat. Dies wird im Frühjahr in den Landesgremien entschieden. Wir haben einen Antrag eingebracht, nach dem – wie auf Bundesebene bereits geschehen – die Nominierung des Spitzenkandidaten für den Regierenden Bürgermeister durch eine Urwahl der SPD-Mitglieder stattfinden kann. Dies soll sich auch auf die Bezirksbürgermeister erstrecken. Eines habe ich aus der „Spiegel“-Geschichte gelernt: Sie können einen Zeugen haben und ansonsten mit der Firma „Ungenannt“ wundersame Spekulationen verbreiten. Im übrigen hat ein Mann wie Herr Reuter es sicherlich nicht nötig, den Wunsch einer möglichen Kandidatur über den „Spiegel“ so zu lancieren.

Schließen Sie denn grundsätzlich eine Nominierung eines auswärtigen Kandidaten aus?

Für 1995 hat Ditmar Staffelt das erste Wort. Anonsten gab es immer wieder Sozialdemokraten, die in die Stadt geholt wurden. Mit der früheren Spitzenkandidatur von Hans-Jochen Vogel und Hans Apel hat die Berliner SPD sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht hat. Interview: Severin Weiland