Säkularer Probelauf im Sommerloch

■ Wie ein ägyptischer Minister einmal die Kleiderordnung lockern wollte

Den hat der Himmel geschickt, dürften sich dieser Tage einige der ägyptischen Presseleute gedacht haben. Verzweifelt suchten sie in den letzten Wochen das diesjährige Thema für das Sommerloch. Der ägyptische Erziehungsminister Hussein Kamel Bahaeddin hat es ihnen jetzt frei Haus beschert: „Die neue Kleiderordnung für ägyptische Schulen.“

Mit seinem neuesten Dekret stieß er mitten ins Herz der ägyptischen Säkularisierungs- oder Islamisierungs-Debatte – je nach Sichtweise. Denn wenn es nach dem obersten Erzieher am Nil ginge, dann sollen in Zukunft Kopftücher für alle Mädchen bis zum elften Lebensjahr in den Schulen verboten sein; ältere Mädchen, die in Zukunft mit bedecktem Haarwuchs durchs Schultor treten möchten, müssen dafür die Erlaubnis der Eltern einholen. Als Begründung für seine überraschende Maßnahme gibt der Minister den Schutz der Mädchen vor religiös-extremistischen Strömungen in den Schulen an. Laut Presseberichten sollen im letzten Schuljahr immerhin 700 LehrerInnen strafversetzt worden sein, weil sie ihren Schülerinnen die Kopfbedeckung aufzwingen wollten.

Für konservative Eltern und die islamistische Opposition ist dieser als Dekret 113 bekannte Beschluß schlichtweg ein Skandal. Die islamistische Wochenzeitung Al- Shaab veröffentlichte Dutzende von Verlautbarungen ehrbarer Scheichs, die in der neuen Entscheidung ein Unglück für die Religion sehen und dazu aufriefen, das Dekret nicht zu befolgen. Das Kopftuch sei eine religiöse Pflicht im Islam. Es schütze die Frau und ihre Ehre und bewahre sie vor den Augen der menschlichen Wölfe, die sie überall belästigen, äußerte einer der Scheichs gegenüber der Zeitung.

Im Auftrag von 50 Eltern zogen eine Handvoll Anwälte mit dem Fall vor Gericht. Sie argumentierten, daß der neue Beschluß verfassungswidrig sei. Er widerspreche dem zweiten Artikel des ägyptischen Grundgesetzes, in dem der Islam als Staatsreligion und die Prinzipien des Islamischen Gesetzes als die Hauptquelle der weltlichen Gesetzgebung festgeschrieben sind. Außerdem sei die Entscheidung des Ministers unvereinbar mit der Religionsfreiheit und dem Recht auf freien Zugang zur religiösen Erziehung. Wenn sogar französische Gerichte muslimischen Frauen erlauben, in der Schule und in den Universitäten Kopftücher zu tragen, sei ein solcher Erlaß in einem islamischen Land wie Ägypten absurd. Sie spielen dabei auf einen Beschluß des französischen Verfassungsgerichts an, das nach einem langen Streit ums Kopftuch in der Schule entschieden hatte, daß Schüler wegen des Tragens religiöser Zeichen (wie eben auch Kopftüchern) nicht vom Unterricht ausgeschlossen werden dürfen.

Was das Alter der Kopftuchträgerinnen angeht, so sehen die Anwälte darin kein Problem. „Grundschülerinnen müssen kein Kopftuch tragen“, aber „es ist besser, daß sie sich in jungen Jahren daran gewöhnen, damit sie später keine Probleme damit haben“, erklärte Awadallah Scharaka, einer der Anwälte, gegenüber der Presse.

Die Regierungszeitungen schlugen zurück. Die Kulturzeitschrift Rose Al-Yussuf veröffentlichte eine Studie des bekannten Richters Muhammad Said Al-Aschmawi. Der hatte sich bereits mit mehreren Büchern einen Namen gemacht, in denen er für eine strikte Trennung von Religion und Staat plädierte. In Rose Al-Yussuf versucht er nun mit Hilfe religiöser Quellen wie dem Koran und den Überlieferungen des Propheten den Nachweis zu führen, daß die Haartracht nicht zur menschlichen Scham gehört, die, laut den islamischen Quellen, verdeckt werden muß. Das Kopftuch, so Al-Aschmawi, sei keineswegs wie etwa das Beten oder das Fasten eine religiöse Pflicht. Es sei nur zum Zwecke und während der Dauer des Betens vorgeschrieben.

Ibrahim Essa, der erst zu Beginn des Jahres mit der Veröffentlichung von Auszügen aus Salman Rushdies „Satanischen Versen“ in Rose Al-Yussuf Aufsehen erregte, faßte es kurz. Mit der Entscheidung des Erziehungsministers habe er eigentlich nur das Problem, daß das Kopftuch in den Schulen nicht gänzlich verboten wurde.

Schließlich schaltete sich auch die islamische Al-Azhar Universität, die höchste Rechtsautorität im sunnitischen Islam, höchstpersönlich in die Debatte ein. Das angesehene Fatwa-Komitee der Universität veröffentlichte Anfang vorletzter Woche eine Erklärung, in der es die Entscheidung des Ministers als eine Verletzung des islamischen Rechts bezeichnete.

Damit war die Schlacht für den Minister so gut wie verloren. Schon Mitte letzten Jahres hatte Bahaeddin vor den Gerichten den kürzeren gezogen. Damals entschied er, den Niqab, ein Tuch, das nur das Gesicht zum Vorschein kommen läßt und bis zur Taille reicht, in den Schulen zu verbieten. Der Beschluß mußte mit Hilfe der Polizei durchgesetzt werden, und elf verschleierte Schülerinnen, die vor das Verwaltungsgericht zogen, bekamen damals Recht. Das Kopftuch, so der Richter in seiner Begründung, sei eine islamische Pflicht. Als Beweis gab er zwei Stellen im Koran an.

Gegen derartige Gerichte und die allmächtige Al-Azhar dürfte Bahaeddin wohl keine Chance haben. In den letzten Verlautbarungen des Ministers blies dieser dann auch schon zum vorsichtigen Rückzug. „Wenn ein Mädchen gegen den Willen ihrer Eltern ein Kopftuch tragen möchte, dann sollte es nicht daran gehindert werden“, ließ er bei einem Treffen mit einer Gruppe islamischer Prediger verlauten. „Ein Erfolg der Volkskampagne – der Erziehungsminister revidiert“, titelte Al-Schaab letzten Freitag siegesbewußt. Jetzt muß Bahaeddin seinen säkularen Probelauf nur noch offiziell zurücknehmen.

Karim El-Gawhary