Sozis in Sachsen: Abgrenzung jetzt!

■ Leipziger SPD will Bundestagskandidat abberufen, weil er über einen Zusammenschluß mit der PDS nachgedacht hat

Leipzig (taz) – Für Michael Müller, den Chef des SPD-Ortsvereins Leipzig-Mitte und Direktkandidat für den Bundestag, sind die Wahlen vermutlich bereits gelaufen. Am gestrigen Montag sollte eine eigens einberufene Wahlkonferenz den 46jährigen Theologen von seiner Kandidatur abberufen. Müller hatte in einer mehrseitigen Erklärung neun Gründe für das „Zusammengehen von SPD und PDS“ aufgeführt und damit die sächsische SPD aufgeschreckt.

Um „der Politik der Konservativen in unserem Land Einschneidendes entgegenzusetzen“, empfiehlt Müller seinen Parteifreunden, eine „Initiative zur Einheit der Linken“ zu starten. Auf diese Weise habe sich die Linke „für ganz Deutschland als verläßlich, alternativ und mehrheitlich wählbar zu erweisen“. An seine Parteifreunde appelliert er, sich „endgültig von der Vorstellung zu distanzieren“, alle ehemaligen Mitglieder der SED seien „von vornherein von undemokratischer Gesinnung“. Sich der Einheit der Linken zu verschließen hieße, so Müller, „eine historische Chance ungenützt verstreichen zu lassen“.

Zwar hatte Müller den ursprünglich als offenen Brief geplanten Text nach Protesten im Ortsverband in seinem Schreibtisch verschwinden lassen, doch nachdem der Text an die Öffentlichkeit gelangt war, beschloß der sächsische Landesvorstand der SPD einschneidende Disziplinarmaßnahmen. Mit sofortiger Wirkung wurden alle Mitgliederrechte Michael Müllers auf Eis gelegt. Ein Parteiordnungsverfahren wurde eingeleitet.

„Hoffentlich wird er ausgeschlossen“, forderte am vergangenen Donnerstag ein sichtlich genervter Parteichef Rudolf Scharping bei der Vorstellung der „Dresdener Erklärung“. In Leipzig gilt es als sicher, daß Müller nach der Sonderwahlkonferenz kein Bundestagskandidat mehr ist.

Die SPD will nicht Geschichte machen, sondern die Wahlen im Oktober gewinnen, und dafür hat Michael Müller nach Auffassung der sächsischen SPD der Partei „großen Schaden“ zugefügt. „Eine Zusammenarbeit mit der PDS ist“, so Pressesprecher Volker Knaur gegenüber der taz, „für uns kein Thema.“ Auch eine Situation wie in Sachsen-Anhalt sei nach den Landtagswahlen in Sachsen undenkbar. „Die PDS ist unser politischer Gegner“, sie habe „ihre demokratische Legitimation“ nicht nachgewiesen.

Auch Michael Müller, der zu den Gründungsmitgliedern der Ost-SPD gehört, rechnete vor der Versammlung mit seiner Abwahl. „Es gibt einfach zu viele Opportunisten“, so sein knapper Kommentar gegenüber der taz. Er muß die Schwierigkeiten, die ihm seine Parteifreunde jetzt machen, schon bei der Formulierung der Thesen geahnt haben. Um das Verhältnis zwischen SPD und PDS auf „neue Füße zu stellen“, brauche es „mutige Genossinnen und Genossen“ sowie einen „langen Atem“. Dafür wird Müller zukünftig viel Zeit haben. Christoph Seils