Polizisten als Erntehelfer

■ In den besetzten Häusern in Mitte macht die Polizei seit Wochen Jagd auf Cannabis-Pflanzen und läßt sie dann in der Müllverbrennungsanlage Ruhleben beseitigen

Die Liebhaber des süßen Dampfs des Hanfs sahen nach dem Urteil des Verfassungsgerichts einen Frühling in der Drogenpolitik heraufziehen. So machten sie sich daran, den Jahrhundertsommer zu nutzen. Viel Sonne und viel Wasser sollten die schönen Hanfpflanzen gedeihen lassen.

Nun kam es aber in Mitte zu einer verfrühten Ernte. Männer und Frauen in Grün hackten die Früchte einfach ab, um sie noch am selben Tag in der Müllverbrennungsanlage Rudow beseitigen zu lassen. Daß die Anwohner nun von den Emissionen bewußtseinserweitert durch den öden Alltag wandeln, ist jedoch eher unwahrscheinlich.

Schon vor zwei Wochen waren Pflänzchen von zwei ehemals besetzten Häusern sichergestellt worden. Der Hinweis, dem die Ordnungshüter damals nachgingen, stammte aus der Nachbarschaft. Nach Angaben der Bewohner drangen rund 20 Beamte – uniformiert und in zivil – recht unzivilisiert und rüde in die Häuser ein. Die Personalien der zufällig Anwesenden wurden aufgeschrieben, aber festgenommen wurde niemand.

Am Montag dieser Woche durchsuchte die Polizei eine Wohnung, aus deren Fenster die zackigen Blätter zu sehen waren. Der Bewohner war nicht da. So ließen die Beamten die Wohnung aufbrechen. Der beauftragte Schlosser weigerte sich, das Schloß ohne Durchsuchungsbefehl zu öffnen. Nach der Drohung, er werde nie wieder einen Auftrag erhalten, zog er dann mit den Worten „Ich laß' mich doch nicht erpressen“ unverrichteter Dinge ab. Ein anderer Schlosser fand sich.

Nach einer eher kümmerlichen Ernte erblickten die Erntehelfer neue Aufgabengebiete auf dem Dach des Nebenhauses. Dort, von wo aus US-Präsident Bill Clinton während eines Besuchs in der Synagoge mittels Scharfschützen geschützt worden war, ernteten sie eine „15 Quadratmeter große Plantage ab“, so der Polizeisprecher. Festnahmen habe es nicht gegeben. Die Bewohner berichten aber von einer Festnahme. Einer der Ihren, der sich zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort aufhielt, wurde von den Beamten mitgenommen und am späten Abend wieder freigelassen.

Nach dem Jahrhundertsommer und einer erwarteten Jahrhunderternte ist der Frühling in der Drogenpolitik ausgeblieben. Der Berliner Senat richtet sich in der Einschätzung des Verfassungsgerichtsurteils nach den Brandenburgern. Als geringe Mengen zum Eigenverbrauch gilt die Dosis, die bei drei Gelegenheiten konsumiert werden könne. Drei Joints à zehn Gramm kämen auf einen Eigenbedarf von 30 Gramm. Sven Christian