Die letzte Bastion der Männer Von Andrea Böhm

Wenden wir uns wie jeden Mittwoch an dieser Stelle wieder einmal den wirklich wichtigen Themen in den USA zu. Die heißen nicht Gesundheitsreform, Waffenkontrolle oder „Whitewater“, sondern: „Haircut“. Es geht vielmehr um die Frage, ob einem 19jährigen Mädchen namens Shannon Faulkner in Charleston, South Carolina, der Kopf kahlgeschoren werden soll – oder ob wenigstens ein Stoppelansatz stehenbleiben darf.

Charleston ist eigentlich eine hübsche Stadt, solange man der „Citadel“ nicht zu nahe kommt. Das ist die meistgeachtete Militärschule; eine letzte Bastion, in der Männer seit 152 Jahren ganz unter sich sind und auf alte Zeiten und die Südstaaten anstoßen. In dieses Paradies brach nun Shannon Faulkner ein: Der Prüfungskommission blieb bei der Lektüre ihres Aufnahmebogens verborgen, daß es sich bei dem zukünftigen Kadetten um ein Weib handelte. Als der Irrtum entdeckt wurde, war's auch schon zu spät: Ein Gericht gab der Klage der 19jährigen gegen geschlechtliche Diskriminierung statt. In der Schulzeitung fragte daraufhin ein Offizier und Gentleman, wer der 1.952 Kadetten die Mitschülerin als erster „flachlegen“ dürfe. T-Shirts mit Aufdruck „1.952 Bulldogs And One Bitch“ finden auf dem Campus seitdem reißenden Absatz.

Nun fragen sich viele Frauen und Männer, was Shannon Faulkner dazu bewegt, ihre Ausbildung an einer Schule fortzusetzen, in der als erstes Unterrichtsziel die „individuelle Persönlichkeit“ aller Neuankömmlinge gebrochen werden soll. Das beginnt mit der Kahlrasur des Kopfes und setzt sich die nächsten zwölf Monate mit permanenter Schikane fort. Höhere Semester dürfen sich ein Jahr lang für das rächen, was sie selbst durchmachen mußten: Sie können ihre Nachfolger nach Belieben herumkommandieren, beschimpfen und erniedrigen. „Sir, yes, sir“ oder „Sir, no, sir,“ oder „Sir, no excuse, sir“ – mehr zu sagen, ist den Kahlköpfen nicht erlaubt. Spätestens an dieser Stelle wird klar, warum Psychotherapeuten in diesem Land so gut im Geschäft sind. Und spätestens an dieser Stelle fragt mensch sich, ob Frauen jeden Schwachsinn nach- oder mitmachen müssen, den Männer veranstalten?

Alles wollte Faulkner nun nicht mitmachen. Ein militärischer Kurzhaarschnitt ja; ein kahlgeschorener Kopf nein. Einige angehende Offiziere und Gentlemen brachten daraufhin Autoaufkleber mit dem Slogan „Shave Shannon“ in Umlauf. Andere argumentierten scheinheilig, gleiches Recht für alle sei doch, was sie gewollt habe – wohlwissend, welche symbolische und historische Bedeutung eine solche Maßnahme gegen Frauen hat.

Letzten Montag nun war Schulbeginn – und der Barbier hätte erst Schere und dann Rasierer ansetzen sollen. Doch in letzter Minute gab ein Berufungsgericht dem Einspruch der Schule nach – und setzte eine neue Anhörung für Dezember an. In Charleston, so heißt es, wurde gefeiert wie am 4.Juli, dem Nationalfeiertag. Doch die paradiesischen Zeiten für die Offiziere und Gentlemen sind zu Ende. Faulkner will nicht aufgeben; für nächstes Jahr haben sich 42 weitere Frauen um Aufnahme an die Schule beworben; und dem Rest des Landes ist klargeworden, daß hinter dieser Zitadelle der Muff von mindestens 100 Jahren zu entlüften ist.