Wie „delikat“ war Pasquas Aktion?

Der Fall Carlos und Frankreichs Geopolitik in Afrika / Berichte über Gegenleistungen an den Sudan / Nach dem „Verlust“ von Ruanda sucht Paris nach neuen Verbündeten  ■ Aus Paris Dominic Johnson

Die Auslieferung des Terroristen Carlos an Frankreich durch den Sudan ist ein Triumph gaullistischer Geopolitik alten Stils. Vergessen scheint das Bild des Sudan als Erzfeind des Westens, als brutale islamistische Militärdiktatur, Verbündeter des Iran und Stützer fundamentalistischer Bewegungen in verschiedensten Ländern von Algerien bis Somalia. Zumindest für Frankreich muß der Erzfeind gar keiner sein.

Seit Anfang 1994 wußte die französische Regierung, daß sich Carlos im Sudan befand, erklärte Innenminister Charles Pasqua am Montag nachmittag auf seiner Pressekonferenz. Er sprach von einer „delikaten Operation“, über die er leider nicht mehr sagen könne, die aber nach Presseberichten vor allem darin bestand, die sudanesischen Behörden mit allerlei Lockmitteln zu einer Auslieferung zu bewegen. Die Tageszeitung Libération berichtet von regelmäßigen gegenseitigen Besuchen französischer und sudanesischer Geheimdienstler und sogar von französischen Satellitenfotos von Stellungen der südsudanesischen SPLA-Guerilla (Sudanesische Volksbefreiungsarmee), die der sudanesischen Regierung zur Verfügung gestellt worden seien. Dies wurde von Pasqua gestern dementiert.

„Mehrere Male hofften wir, daß Carlos uns übergeben werden würde“, sagte der Innenminister, „mehrere Male wurden unsere Hoffnungen enttäuscht.“ Er habe daraufhin Ende vorletzter Woche seinem sudanesischen Kollegen einen Brief geschrieben. Die Verhaftung sei dann prompt am Sonntag erfolgt. Die Regierung des Sudan stellt die Sache inzwischen so dar, daß Carlos „im Rahmen eines Plans ausländischer Geheimdienste“ im Sudan aktiv war, mit dem der Sudan „das Terrorismus-Etikett angehängt“ werden sollte. Sudan ist für das US-Außenministerium eines jener Ländern, die offiziell als Unterstützer des Terrorismus gelten. Da es diesen Ruch unter allen Umständen loswerden will, gibt Frankreich die Gelegenheit, sich mit den sudanesischen Militärs zu arrangieren und damit ein Stück verlorengegangenen Einflusses in Afrika zurückzugewinnen.

Die gaullistischen Afrika-Hasen der regierenden französischen Rechten haben den „Verlust“ des einstigen Verbündeten Ruanda an die anglophone Guerillabewegung RPF noch immer nicht verwunden. Die RPF wird von Uganda unterstützt, dem südlichen Nachbarn des Sudan. Ugandas Präsident Yoweri Museveni wird seit Jahren verdächtigt, auch die SPLA humanitär und militärisch zu unterstützen, und die Regierung des Sudan bewaffnet nach ugandischen Angaben inzwischen auch Guerillagruppen im Norden Ugandas, zum Beispiel die christlich-fundamentalistische Lord Resistance Army (LRA), die sich aus der Holy Spirit Movement einer inzwischen nach Kenia geflohenen ugandischen Dschungelpredigerin rekrutiert.

Schon seit einiger Zeit hat sich der Sudan mit traditionellen Freunden Frankreichs in Afrika arrangiert. Sowohl die Zentralafrikanische Republik wie auch Zaire erlauben der sudanesischen Armee Transit über ihr Territorium, um SPLA-gehaltene Gebiete des Sudan anzugreifen. Der Präsident des Tschad, Idriss Deby, verdankte seine Machtergreifung 1990 einer Kombination aus sudanesischer logistischer Unterstützung und französischem Wohlwollen.

Manche Beobachter glauben, daß der Sudan Paris jetzt zugesagt hat, seine von Frankreich vermutete, aber selten bewiesene Hilfe für den islamistischen Untergrund in Algerien einzuschränken. Der Publizist Alexandre Adler sieht in der französisch-sudanesischen Zusammenarbeit einen Versuch Frankreichs, einen Dialog mit der verbotenen algerischen Islamischen Heilsfront (FIS) zu beginnen, die seiner Meinung nach vom Sudan unterstützt wird, und sie von der radikaleren GIA (Islamische Bewaffnete Gruppe) zu lösen, die er als Verbündete des Iran darstellt. Möglich ist aber auch, daß all diese Rauchwolken sich mit dem Ende der Sommerferien in wenigen Wochen in Luft auflösen. Denn sowohl im Umgamg mit Algerien wie auch in der Affäre Carlos beherrscht Innenminister Pasqua die Szene gegenwärtig so sehr, daß es nur eine Frage der Zeit sein kann, bis sich die Pariser Außenpolitiker genötigt sehen, das Heft wieder in die Hand zu nehmen.