■ CDU will bei Wahlsieg Sozialhilfe kürzen
: Reale Probleme – schimärische Lösung

Weil es sich angeblich auch ohne Arbeit gut auf Staatskosten leben läßt, will die Union die Sozialhilfe weiter kürzen. „Wir wollen erreichen, daß jeder durch Beschäftigung ein höheres Einkommen erzielt als ohne Beschäftigung“, heißt es in dem Entwurf des Wahlprogramms. Die CDU macht damit klar, daß im Falle ihres Wahlsiegs starke Einschnitte in allen Zweigen des Sozialsystems folgen werden. Die FDP wird mit Begeisterung dabeisein, denn sie erwartet wie die Union von den rund sieben Millionen sozial Schwachen hierzulande keine einzige Stimme. Die Sparabsichten, wenngleich immer wieder modifiziert, sind Teil einer seit zehn Jahren stereotyp geführten Kampagne: Deregulierung auf allen Ebenen. Dahinter steckt ein simples Konzept. Die Sozialhilfe muß sinken, damit das Arbeitslosengeld weiter gekürzt werden kann. Am Ende steht der Plan, das Lohnniveau zu senken. So wundert es keinen, daß sich in dem CDU- Entwurf auch Forderungen nach tariflichen Öffnungsklauseln und niedrigeren Einstiegslöhnen finden. Sie markieren einen elementaren Baustein der konservativen Wende in die Zukunft, die geradezu zynisch weniger Staat und mehr Flexibilität, weniger Gleichheit und mehr Freiheit, weniger Solidarität und mehr Eigeninitiative propagiert.

Auch wenn die Argumente der Bonner Sozialabbauer jenseits aller Ideologie sich als fadenscheinig erweisen und das prekäre soziale Gefüge weiter zermahlen wird – eine konservative Regierung findet anscheinend in der Öffentlichkeit immer noch Gnade. Kein Aufschrei fegt durchs Land, wenn die Armen und Schwachen wieder und wieder geschröpft werden, solange das Besitzstandswahrungsmilieu nicht mitbluten muß.

Ratlos registrieren Regierung und Opposition, wie die Zahl der Einkommensschwachen, Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger ständig steigt. Daß trotz hoher Abgaben im Sozialsystem eine immer größere Etatlücke klafft, überrascht kaum; die direkten Sozialleistungen belaufen sich schon heute auf über eine Billion Mark. Das Sozialsystem hat hundert Jahre funktioniert, aufgrund demographischer und sozialstruktureller Verschiebungen ist es jedoch an seine Grenzen gestoßen. Mit Kürzungen ist das Problem genausowenig zu lösen wie mit einem platten Etatismus, wie ihn nach wie vor die sozialdemokratischen Sofortisten fordern. Nicht der Abbau, sondern der Umbau des Sozialstaats steht auf der politischen Tagesordnung. Und nicht nur das: Am Ende der Moderne, die großteils aus dem Mythos des Sozialen gespeist wurde, stehen wir vor einem Scherbenhaufen. Nichts kommt eine Gesellschaft teuerer als die Anomie einer wachsenden Minderheit wirtschaftlich ausgegrenzter und sozial deklassierter Menschen. Angesichts dieser Dimension muß man sich doch fragen, wann die Politiker endlich damit aufhören, an Scheinlösungen herumzubasteln. Erwin Single