„Schön viel zu gewinnen“

Kinderfest in Hohenschönhausen: Vor lauter Werbung sieht man den Sport nicht mehr / 250.000 Kinder zwischen Werbung und Promotion  ■ Von Patricia Pantel

Den 13jährigen Kevin Foß aus Marzahn zieht es mit einem Riesenruck zurück. Er prallt laut aufquietschend gegen die gelb-blaue, mit Luft gefüllte Plastikwand hinter ihm. „Bungee-Running macht total Spaß“, sagt er lachend und rennt gleich wieder los. Am Bauch ein dickes Gummiband, das ihn, wenn es die richtige Spannung erreicht hat, nach hinten zurückzieht. Die Schlange der wartenden Kids vor dem Bungee-Running ist lang. Nebenan vor der knallbunten Hüpfburg stehen auch schon jede Menge kleiner Schuhe nebeneinander gepaart und warten auf ihre Besitzer, die auf dem Hüpfpolster herumtoben. Ein paar Meter weiter üben sich Tennistrainer mit Engelsgeduld darin, den lieben Kleinen zu erklären, wie man mit dem Tennisschläger einen Ball über das Netz bekommt. Und über den ganzen großen Platz dröhnt ein Mischmasch aus Musik, Kindergeschrei und Moderatorenansagen, dazwischen ziehen Geruchsschwaden von Pommes und Fischstäbchen durch die Luft.

Seit Montag und noch bis Sonntag findet jeden Tag von 10 bis 18 Uhr auf und im Berliner Sportforum in Hohenschönhausen das große „1. Berliner Kinderfestival“ statt. Der Eintritt ist frei. Das Motto: „Kinder weg von der Straße – Zuführen in Vereine“. Insgesamt zwanzig Sportarten werden vorgestellt. Jeder kann umsonst Fechten, Judo, American Football, Basketball und Hochsprung ausprobieren. In den ersten drei Tagen tobten schon 100.000 kleine Besucher über den Platz. Der Veranstalter rechnet bis Sonntag mit einer Besucherzahl von 250.000. Ziel ist, den Kindern einen Anreiz zu geben, in einen Sportverein einzutreten.

Aber die Sportarten und Vereine muß man in dem bunten Getümmel suchen. Auf den ersten Blick sieht man nur die Werbe- und Promotion-Stände der rund 180 Firmen, die das Fest finanziell unterstützen. „Social Sponsoring“ in seiner ausgeprägtesten Blüte. Ob dieser Tatsache halten sich Veranstalter International Sport Marketing (ISM) und der initiierende „Verein zum Schutz von Kindern und Jugendlichen“, der erst im Juni „von Leuten aus der Wirtschaft“ gegründet wurde, aber ganz unbedeckt. Andreas Koch von der ISM: „Man kann es so sehen, daß die Wirtschaft die Kinder benutzt, aber ich denke, wer sich so engagiert wie die beteiligten Firmen, der kann auch ruhig seinen Nutzen daraus ziehen.“ Anders ist das „überwältigende Engagement“ der Firmen und Geschäfte auch nicht zu erklären. Unter 250.000 kleinen Besuchern sind schließlich auch 250.000 potentielle spätere Kunden, denen man nicht früh genug „die richtige Marke“ für Spiel, Sport, Freizeit, Essen, Süßigkeiten, Eis und Getränke einbleuen kann. Auch Pressesprecherin Christine Steinhoff sieht in dem Werbeaufgebot nichts Verwerfliches: „Lieber so, als den ganzen Tag in der Glotze. Die meisten Kinder kennen die Werbeslogans doch schon auswendig.“ Das Geld aus diesem „Social Sponsoring“ soll am Ende Berliner Sportvereinen zugute kommen.

Und so reiht sich auf dem Platz in Hohenschönhausen für eine Woche ein bunter Werbestand neben den nächsten. In sportliche Hülle verpackt und kinderfreundlich natürlich: Glücksräder surren an jeder Ecke, Hüpfburg steht neben Hüpfburg, die Firma mit der blau-roten Zahnpasta hat einen Zahnputzbrunnen aufgebaut, die kleinen gelben, roten oder orangenen Plastikbecher, die „wertvoller als ein kleines Steak“ sind, werden umsonst verteilt, und irgendwo steht auch ganz verloren ein Prinz mit einer Rolle Kekse.

Und alles hat irgendwie doch auch etwas mit Sport zu tun. So erklärt ein Moderator, der vom vielen Brüllen ins Mikrofon schon ganz geschafft aussieht, während er Kandidaten für den Karaoke- Wettbewerb sucht: „Singen ist ja schließlich auch ein Sport, die Bauchmuskulatur wird gefestigt.“

Die 12jährige Annika aus Schöneberg ist eigentlich gekommen, um sich über American Football zu erkundigen. „Ich glaube, das macht Spaß, und außerdem prügele ich gerne.“ Den American- Football-Stand hat sie allerdings noch nicht gefunden, darum macht sie jetzt erst mal beim Karaoke mit. „Küssen verboten“ von den Prinzen haucht sie mit dünnem Stimmchen in das Mikrofon. Zwischen den Werbeattraktionen gibt es allerdings schon ein bißchen „richtigen Sport“. Auf der großen Bühne werden zweimal täglich verschiedene Sportarten vorgestellt. Und wer die Stände der Sportvereine im Getümmel der Werbebuden findet, kann fragen und selber ausprobieren. Wie die meisten Kids ist der 13jährige Kevin aber erst gar nicht wegen des Sports gekommen, sondern „um mich zu amüsieren“. Schließlich locken all die bunten, lauten Stände mit jeder Menge Gewinne: Frisbees, Luftballons, T-Shirts, Mützen und haufenweise Schnickschnack. Überall gut leserlich der Schriftzug der jeweiligen Firma. „Daß man was gewinnen kann“, sagt der 12jährige Alexander, „ist doch ganz normal.“ Und so ist bei diesem Fest genauso „normal“, daß jedes Kind schon nach kurzer Zeit mindestens eine Plastiktüte mit dem Erbeuteten hinter sich herschleift. Kein Wunder, daß das Urteil der Jungs und Mädels über das Fest einhellig ausfällt: „Es ist toll hier. Es macht Spaß. Und man kann schön viel gewinnen.“