: Menschen wie du beziehungsweise ich: Cabrioletten Von Claudia Kohlhase
Sie gleiten durch die Stadt, als wär' sie ein Florida und das Meer gleich hinter der nächsten Tankstelle. Sie halten die Köpfe hoch, daß die Haare hinter ihnen herknattern wie vollbesetzte italienische Mofas. Sie ziehen an uns vorbei, als wäre sonst um sie her nur Wüste und wir wären die Kamele. Und zwar geschlossene Kamele. Denn wir alleine sitzen hinter Glas, hermetisch Abgeriegelte. Sie aber besitzen ein Cabrio beziehungsweise Cabriolet und werden vom Wind geschnitten. Und schwelgen unter geöffnetem Himmel durch die Straßen, als wären sie nicht nur eventuell etwas Besonderes, sondern tatsächlich und nachweislich. Und auch nicht grade mal in Norddeutschland, wo aus Versehen den ganzen Sommer die Sonne brüllt.
Absichtlich fahren sie sich an jeder Ampel durch die Haare, als wenn das was besser machte. Dabei möchte niemand solche unangenehmen Haare haben: dauernd diese affige Sonne von oben und dieser Auspuff vom Niederflurbus von vorne und dann noch die Schwaden von der Imbißbude dahinten, nicht zu vergessen der feingemahlene Steinstaubregen aus den Kipplastern von den dreißig Baustellen, der Cabriofahrer bzw. Cabrioletfahrer leise umschmirgelt.
Da hat's unsereins ja doch sehr viel besser: Wir kurbeln bloß ein wenig an unseren Fenstern, und schon sitzen wir prima im individuellen Durchzug. Wird der Hals dabei steif, drehen wir fix wieder hoch, so einfach geht das bei uns. Und hat unser hübsches kleines Auto den Tag über in der Sonne geparkt, dann nutzen wir die Heimfahrt von der Arbeitsstelle als kleine Schwitzkur — das entschlackt enorm.
Es ist auch kein Bein- bzw. Armbruch, wenn unterwegs das Deo versagt: Schließlich verbleiben alle strengen Gerüche in der Intimität unserer geschlossenen Führerkabine, wo sie auch hingehören. Dagegen hat's die gemeine Cabriofahrerin bzw. Cabrioletfahrerin schwer: Sie muß ja repräsentieren, wo immer sie auch steht, fährt oder hält. Da stört jeder Pickel und jede Knitterfalte in der jovial sportiven Buschbluse. Deshalb tragen Cabriofahrer bzw. Cabrioletfahrer auch immer so dunkle Sonnenbrillen: damit niemand sie erkennt, wenn doch mal was nicht stimmt an ihrer Peripherie.
Wenn allerdings Cabriofahrer bzw. Cabrioletfahrer vor Straßencafés vorfahren, wollen sie komischerweise doch erkannt werden und ziehen ihre Brillen wieder ab. Dabei guckt extra kein Schwein. Das finden Cabriofahrerinnen bzw. Cabrioletfahrerinnen dann meistens so gemein, daß sie gleich wieder einsteigen, Türen schließen und derart abfahren, daß der Splitt spritzt und dem Publikum gezwungenermaßen die Augen überlaufen.
Nein, es geht kein Weg an ihnen vorbei, das machen sie absichtlich. Überall, wo wir sind, sind sie auch. Als wären wir lauter Hasen und sie die Igel, statt mit Stacheln mit einem Überrollbügel. Zugegebenermaßen ist das einzige, worum wir Cabriofahrer bzw. Cabrioletfahrer beneiden, dieser übergeordnete Henkel. Damit sieht so ein Auto doch gleich viel tragbarer aus. Im Grunde wie ein rasendes Spargelkörbchen. Bloß: statt daß Spargel drinliegt, sitzt jemand hinterm Steuer. Ganz klar ziemlich komischer Anblick. Jedenfalls für uns, dir wir das alles ununterbrochen mitansehen müssen.
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