Das Mallorca der Amerikaner

Mit gefälliger Infrastruktur und einem zartrosanen Schmelz locken die Bahamas Touristen an  ■ Von Carola Brezlanovits

Knietiefes Wasser, türkis mit einem Hauch Aquamarin. Die Zehen graben sich in den Meeresgrund und bohren nach herzförmigen Muscheln. New Providence, Insel der Bahamas – Traum fürsorglicher Eltern: ein Strand, der unmerklich in Meereswasser übergeht, das wiederum so sanft tiefer wird, das es für das vor Freude juchzende, um sich spritzende Kleinkind selbst in 20 Meter Entfernung von den elterlichen Liegestühlen nicht gefährlich werden kann. Ein Traumstrand – doch Alptraum für schnorchelwillige Wasserratten, die eine halbe Stunde im knietiefen Wasser gen Horizont waten müssen, um dort draußen dem Unfaßbaren durch die Taucherbrille entgegenzusehen: kein Riff, kein noch so kleiner Korallenstock, keine ach so bunten verspielten Fische – nur meilenweit Sand.

Haupteinnahmequelle Tourismus

Doch ich habe für meinen wohlverdienten Traumurlaub auf den Bahamas 3.000 Mark bezahlt, inklusive Schnorchelmöglichkeit „über einige der schönsten Riffe dieser Erde“ hinweg. Die Reisevertretung vor Ort steht mir in meinem Elend bei: „Probieren Sie es doch auf Paradise Island, einer im Norden vor New Providence gelegenen Insel. Der Name hält, was er verspricht, Sie werden sehen.“ Ich sehe – mit eingeschränktem Blickwinkel: Scheuklappengleich mogele ich mich an den Hotelgiganten, Casinos und Luxusrestaurants auf Paradise Island vorbei, versuche, Juweliere und Boutiquen, die Mode für die Yacht und den Landausflug anbieten, zu ignorieren. Das alles paßt nicht in „mein Paradies“, in mein „Weltbild“ von den Bahamas. Also rein in die Flossen, in die Maske gespuckt (mein Wort, das tut man so unter erfahrenen Tauchern) und ab in den karibischen Ozean.

Nach zehn Minuten Zickzackkurs begreife ich, daß auch hier mich keine Gärten des Poseidon erwarten. So streiche ich den Begriff Koralle aus meiner Paradiesdefinition und lege mich in den Sand.

Doch, was soll dieses scheppernde Krachen? Vielleicht eine Steel Band oder Goombay, die Einheimischen-Musik? Ein Doppelstock-Ausflugsboot biegt um die Landzunge und kommt auf mich zu – riesig und lärmend wie ein gleitendes Mittelklassehotel mit Discothek. Während ich mich frage, wie dieses kastenförmige Ding überhaupt schwimmen kann, hält es weiter Kurs in Richtung meiner einsamen Bucht.

Die ersten legen ihre Handtücher mit einem Höflichkeitsabstand von zwei Metern neben meinem Strandtuch aus, während sich auf dem Oberdeck noch immer Schlangen vor den Abgängen bilden – aufgeregt plaudernde Touristen in Shorts und Minirock oder mit bunten Tüchern um die blassen Hüften. Eben ausgestiegen, lassen sie sich schon auf dem Sand nieder, um fünf Meter vom Boot entfernt den Programmpunkt Landausflug zu absolvieren. Die Bahamas mit dem subtropischen, jedoch milden Klima ziehen die meisten Touristen aller karibischen Staaten an. 1993 kamen 3,6 Millionen Besucher, das ist das Vierzehnfache der Einwohnerzahl. Und die Insel New Providence mit der Hauptstadt Nassau hat Tag für Tag genauso viele Gäste, wie sie Einwohner hat: 135.000. Das Paradies der 690 Inseln ist offen. Und jeder geht hin. Es ist inzwischen keine Frage mehr von Reichtum und Prominenz wie vor zehn Jahren.

Die Bahamas sind sicher das Mallorca der Amerikaner, na ja, vielleicht eine Spur feiner. Den kanadischen Touristen wiederum sagt man nach, die seit 1972 unabhängigen Bahamas lägen ihnen näher am Herzen als etwa Miami – die Vorliebe basiert auf der Mitgliedschaft im gleichen „Verein“, im Commonwealth. Europäer sind auf den Inseln nur selten anzutreffen. Auch die Deutschen blieben in der letzten Zeit aus. Das soll sich ändern: „Neue Flugverbindungen sollen europäische Besucher direkt von Frankfurt und Düsseldorf nach Nassau bringen“, so Tourismusminister Brent Symonette.

Der Tourismus ist mit einem Anteil von 70 Prozent am Bruttosozialprodukt die Haupteinnahmequelle der konstitutionellen Monarchie im Commonwealth. Acht von zehn Bahamern arbeiten für den Tourismus, vorrangig im Hotel- und Gaststättengewerbe. Herablassend könnte man sogar von einer Dienstleistungsgesellschaft sprechen. Doch diese hat auch Vorteile. Bahamer können von der guten Infrastruktur und der staatlichen Ausbildung im Bereich Tourismus profitieren: „Ob Manager oder Busfahrer, alle, die im Tourismusbereich arbeiten, müssen ein Seminar mit strenger Prüfung absolvieren, in dem man sich Kenntnisse über Geschichte, Wirtschaft, Politik und Kultur des Landes aneignet“, berichtet Austin Weekes, Manager im Hotelgewerbe, gerade eben von einem Auffrischungskurs zurückgekehrt. Gewerkschaftlich sind die Arbeitnehmer gut organisiert. „Sie erhalten zwölf Monatsgehälter, 21 Tage Urlaub bei zwei freien Tagen in der Woche und eine Woche Weihnachtsbonus“, rechnet Ramada- Hoteldirektor Werner Dietl vor. Nur die Sieben-Tage-Adventisten bereiten ihm Sorgen, bringen sie doch ihre Religion in den Arbeitsalltag ein: „Sie arbeiten einfach am Samstag nicht“ – für das Hotelgewerbe ein schwieriges Problem.

Inzwischen sind am Strand Einheimische aufgetaucht: Bahamer preisen eindringlich die Frische ihrer Ananas und Zuckermelonen. Kein einziger Bootsausflügler kauft. Jeder ist übersättigt vom bordeigenen Büfett. Eine Bahamin will einer älteren Lady einen Strohhut verkaufen, doch ein recht unwirsches „No, thank you“ ob dieser Belästigung schallt der niedergebeugten Frau entgegen. Kaum hat sich die Bahamin zwei Meter entfernt, entrüstet sich die Lady gegenüber einer etwa gleichaltrigen Dame im hochgeschlossenen Einteiler zur Rechten: „An Bord sind schon so viele Leute, und jetzt hat man nicht einmal hier seine Ruhe. Woher kommen Sie denn, meine Liebe?“ – „Aus Pittsburg.“ – „Ah, feine Gegend.“ Damit ist das Gespräch erschöpft, und die beiden haben sich mir entlarvt: sie sind Amerikanerinnen.

Für die Bahamer wirkt sich das Nahverhältnis zur USA prägend aus: Vor der Südostküste Floridas gelegen, kommen fast nur amerikanische Gäste. Doch auch die USA sind für die Bahamer erste ausländische Anlaufstelle, was etwa Bildungseinrichtungen oder Arbeitsmöglichkeiten angeht. Staatliche Stipendien werden für etliche US-Universitäten gewährt. Geschmäcker und Wünsche der Menschen von New Providence, von Grand Bahama und den übrigen Inseln, den sogenannten Family Islands, sind manches Mal nicht von denen der US-Amerikaner zu unterscheiden. So wird ein amerikanischer Tourist, der über das Wochenende zum Glücksspiel nach Grand Bahama fliegt, nichts Heimisches missen: Küche, Hotelkomfort, Einkaufsmöglichkeiten; reichlich umgeben von US-Dollars und seinen Landsleuten, fühlt er sich zu Hause. Grand Bahama hat deshalb auch ihren Spitznamen weg: Die Insel wird die Mätresse Amerikas genannt.

Und die Mätresse hat viel Rouge aufgelegt: Die Fassaden etlicher Hotels und Casinos auf Grand Bahama sind mit zart abgetöntem Rosa getüncht. Und diese Farbe fällt auf allen Inseln der Bahamas, etwa an den Holzwänden der bahamischen Häuser, auf. Rosa tragen nicht nur Gegenstände: das naßglänzende, frische Fleisch der Chonch-Muschel, Zuckermelonenstückchen in warmem Orange-Rosa. Das Federkleid des Wahrzeichens Flamingo schillert rosa mit einer Nuance ins Lachsfarbene.Um alle Farben und Geräusche der Hauptstadt Nassau aufzusaugen, schließe ich mich einem Goombay Guided Walking, einem einstündigen kostenlosen Stadtrundgang des Touristenbüros, an.

Das unbeschwerte Lebensgefühl

Das Wort Goombay meint „unbeschwertes Lebensgefühl“ und schmückt jeden Tourismusprospekt. Und für bereits 40.000 Touristen, darunter Polizisten, Krankenschwestern, Lehrer, Finanberater und sogar ein Religionsminister, war das Tourismusbüro Vermittler: Bei einem people to people verbringen Gäste und Bahamer gratis einen Tag zum besseren Kennenlernen: zu Hause, an der Arbeitsstelle, beim Einkaufen...

Der Stadtrundgang stoppt. Gegenüber dem Parlament verteilen etwa zwanzig Rastas in weißen, lang wallenden Gewändern Flugblätter. Eines der Plakate gibt Auskunft über den Grund der Demonstration: „Give back Queen Omega her throne now“. Ein Rasta löst sich von der Gruppe. Die Parlamentsgarde gewährt ihm höflich mitsamt Petition Einlaß. Ich befrage einen Parlamentswächter, welche Ziele die Rastas verfolgen. „Nun, das wissen sie wohl selbst nicht so genau, aber ich schätze, ihr Antrag wird heute im Parlament behandelt. Doch ob wir diesen Thron zurückgeben werden?“ Der Bahamer in britischer Uniform und mit silbernem Zwirbelbart lächelt verschmitzt.

Im Laufe der Geschichte hatten die Inseln unterschiedliche Bedeutung erfahren: Kolumbus kam auf der Bahamainsel San Salvador im Jahr 1492 an. Die Folge: Die Spanier verschleppten 40.000 Lucayer- Indianer als Zwangsarbeiter. Spätfolge: Spätestens zu Beginn des 17. Jahrhunderts waren die Inseln gänzlich unbesiedelt und für die nächsten hundert Jahre deshalb ein idealer Piratenstützpunkt. Eingewanderte Loyalisten und deren Sklaven ab dem 18. Jahrhundert sind der Ursprung der modernen Bahamer: Schwarze, Mulatten, Weiße. Wie in alten Piratenzeiten bieten auch heute viele unbewohnte Inseln Schutz: Nicht nur für Tausende illegale Haitianer auf dem Weg nach Florida, sondern auch für Rauschgiftschmuggler, die in der Nacht ihre Waren verladen.

Neben Urlaubsparadies und Glücksspiel-Eldorado ist das Land als internationales Finanzzentrum durch den Verzicht auf Vermögens-, Einkommens- und Erbschaftssteuer für 300 Bankfilialen und für Privatanleger erste Adresse. Grund und Boden sowie große Hotels sind in amerikanischer Hand. 90 Prozent der Exportgüter wie Rohöl, Krustentiere, Fische und Rum gehen in die USA. Bei geringer Industrie und einer kleinen Landwirtschaft aufgrund schlechter Böden kann der Staat mit nichts anderem dienen. So müssen 80 Prozent der benötigten Nahrungsmittel für den eigenen Bedarf importiert werden. Verschärfend wirkt eine Arbeitslosenrate von 20 Prozent. Die OECD zählt das Land zu den „besseren“ Drittweltländern. Entwicklungsperspektiven werden nur im Rahmen der derzeitigen Bedingungen mit den Schwerpunkten Tourismus und Finanzzentrum gesehen. Man hofft auf die Erschließung von weiteren Rohstoffen und vor allem, daß den Amerikanern das tropische „Mallorca“ nicht langweilig wird.

Übrigens: Gute Tauch- und Schnorchelmöglichkeiten habe ich dann an Bord des U-Bootes Atlantis entdeckt, das bis zu 50 Meter tief taucht. Wem das zu extrem ist, dem ermöglicht die riesige Freizeitanlage Coral World die Begegnung mit Schildkröten, Rochen, Haien und weiteren 24 Aquarien. Dolphin Encounter auf Blue Lagoon Island wiederum bietet Streicheleinheiten für Delphine an.