■ Schweine aller Länder, vereinigt euch! Auf zur Selbstorganisation eurer Freiheit
: Aufstandort Deutschland

Die Organisation der Arbeit und des Einkommens ändern? Also die Befreiung der Marktwirtschaft vom Kapitalismus wollen? Ja, über die Naturgesetze, über den Ursprung der Welt und des Lebens, auch über Gott und Teufel kann man reden – aber doch bitte nicht über die Grundideen wirtschaftlicher Wertschöpfung! Das wäre zu unseriös! Das Grundgesetz aller Wirtschaft ist doch so selbstverständlich, daß es einfach kindisch wäre, daran rütteln zu wollen: Gebt dem Mammon, was des Mammons ist! Und das ist bekanntlich alles.

Warum sollte man gerade in Deutschland wieder beginnen, dagegen aufzustehen? Schließlich stammten schon Marx und Engels von hier, diese Asylanten, und eben erst haben wir die vielen Marx-Engels-Plätze umbenennen dürfen!

Genau auf dieses Zusammentreffen alten und neuen Scheiterns aber stützt sich meine Hoffnung, daß bei uns neues Denken aufbricht. Nirgends berühren und verflechten sich die Fehlstellen des wirtschaftlichen Denkens von Jahrhunderten so eng wie in unserer Realität und in unseren Köpfen. Die inneren Widersprüche in den Ideen kapitalistischer Wertschöpfung werden dabei schnell ebenso deutlich wie in denen des verrotteteten Sozialismus.

Es wird natürlich in Deutschland keine Revolution im klassischen Sinne geben, aber schon eine ganz pragmatische Politik zur Verminderung der wirtschaftlichen und ökologischen Probleme wird die Auswüchse und Fehlentwicklungen des Kapitalismus eindämmen und vielleicht sogar neue Entwicklungslinien starten. Die Erkenntnis, daß so viele Menschen aus guten Gründen nichts mehr zu tun finden – nämlich weil wir jahrhundertelang erfolgreich auf die Ersetzung des Menschen als Arbeiter hingearbeitet haben –, wird die Bewertung von Kapital und Arbeit radikal verändern. Solidarität wird plötzlich nicht mehr bedeuten, daß Menschen, die Arbeit haben, hieraus die Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherungen finanzieren müßten. Diese Lasten werden aus Steuern getragen werden, die auch das Kapital treffen – und zwar überproportional zu dessen Größe.

Und damit sind wir schon bei der Kernidee einer „ökologischen Steuerreform“: bei der „Besteuerung des Schädlichen“. Mit wachsender Einsicht ins Wesen der Krise führt dies schließlich zur Besteuerung des „Großen und Schnellen“ und zur steuerlichen Behinderung des Eigentums an Lebensgrundlagen anderer. In ein bis zwei Generationen ist dann alles anders. Wäre das eine Revolution? Auf den Namen soll es nicht ankommen!

Wenn erst einmal die Idee Fuß faßt, daß man das Schädliche besteuern und das dauerhaft Nützliche von Steuern befreien oder sogar subventionieren sollte, dann werden bereits Wunder geschehen. Aus der Mehrwertsteuer wird eine „Wenigwertsteuer“ – und der Wert wird nicht am Preis gemessen, den jemand zahlen will, sondern an der Lebensverträglichkeit und an den Abfällen des Produkts und der Produktionsmethoden. „Ökodiktatur!“ schallt es uns da entgegen – aber nein: Gewählte Politiker werden all das beschließen, weil sie und die Mehrheit ihrer Wähler es als richtig erkannt haben!

Auf einmal werden wir statt der Arbeit die Energie und die Biozide besteuern. Statt immer größerer Maschinen auf immer größeren Äckern und immer breiteren Forststraßen werden in der Landwirtschaft und im Wald womöglich wieder Pferde zu sehen sein, die Heu und Hafer fressen. Die meisten Lebensmittel wandern vom Bauern nicht nach ganz Europa und in alle Welt, sondern in die nächste Stadt, ja sogar auf deren Marktplatz. Das Holz gelangt zum Teil in eine nahe Möbelfabrik, und die Möbel größtenteils in die Häuser in derselben Gegend. Und was ist mit dem Holz, das viel billiger angeboten wird, weil man irgendwo in der Welt weiterhin plündert? Das wird nicht mehr importiert! Wir haben das verboten.

So gehen wir mit der Freiheit des Marktes um! Und so kommt es, daß die Menschen immer mehr von dem, was sie brauchen und gern haben, in ihrer näheren Umgebung finden. Allein durch die wahrheitsgemäße Bewertung des Verkehrs fällt die Idee eines Europas der Großkrämer in sich zusammen! Und natürlich ebenso die Vorstellung eines immer weiter wachsenden Weltmarkts, auf dem man mit allen anderen ums Überleben kämpfen müßte. Aber eine Rückkehr in die Steinzeit ist damit keineswegs verbunden. Die einzige Ähnlichkeit mag sein, daß die Menschen wieder ähnlich viel Zeit zum Plaudern haben wie damals, als sich bekanntlich der Reichtum unserer Sprachen zu entfalten begann. Wie schnell sich fast alles zum Besseren, Schöneren, Freundlicheren ändert, wenn nicht mehr das Geld herrscht, das wir zum „Rosten“ gebracht haben, wenn aber auch keine andere Herrschaft zugelassen wird! In der Schule, beispielsweise, regiert nicht mehr die Durchschnittsquote. Der Wert des Menschen muß wieder auf komplexere Weise in einem vieldimensionalen Raum erfaßt werden. Sogar für die „Dummen“ ist da wieder ein Wert und ein entsprechender Platz! In den Schulen, ja sogar in der Lehrerbildung, blühen Freiheit und Vielfalt auf.

Und wie geht es den Kindern zu Hause? Weil es nur noch so wenige Geschwister gibt, haben alle Wohngebiete vielerlei Einrichtungen für gemeinsame Spiele und andere Aktivitäten, und in allen Wohnungen ist Platz, um öfters auch Freunde über Nacht da zu haben und auch einmal ein paar Wochen Großfamilie zu spielen. Ja, auch die Alten sind dann oft zu Hause, und ihr Rat ist meist gar nicht so aus der Welt, denn die Welt ändert sich ja nicht mehr so schnell ...

Auch im öffentlichen Leben sieht dann alles anders aus. Die Demokratie wird von unten her im Kleinen organisiert werden, wofür sie ja auch erfunden wurde. Die Gemeinden und Kreise, die man zusammenlegte, trennen sich wieder. Es wird wieder viel mehr Bürgermeister, Gemeinderäte und Kreisräte geben: Menschen, die das, was sie verantworten sollen, aus eigener Erfahrung kennen. Und eben deshalb wird dann dennoch Bürokratie abgebaut, weil die Menschen, die Aufgaben in Politik und Verwaltung wahrnehmen, dies oft nur nebenbei und in einer bekannten Umgebung tun – statt im „Raumschiff Bonn“ oder gar in Brüssel. Die sogenannte Verwaltungsvereinfachung durch Konzentration hat nämlich vor allem dazu geführt, daß Bürokraten sich überwiegend miteinander beschäftigen müssen und dabei gemeinsam immer schneller neue Probleme für die Menschen erzeugen, denen sie eigentlich dienen sollten. In der neuen Gesellschaft, nach der „Jahrtausendwende“, wird die Bürgerfreiheit nicht, wie heute, immer weiter eingeengt, sondern sie nimmt ständig zu – freilich nur dort, wo sie nicht andere unfrei macht oder die Natur beschädigt.

Fragt noch jemand, wo dafür Freiräume sein könnten, wenn doch alles, was als schädlich erkannt ist, besteuert oder gar verboten ist? Können sich denn Menschen über etwas freuen, was nicht schadet? Wir leben doch nun einmal in einer „Dissensgesellschaft“, heißt es. Leben ist immer Kampf. Nur in Konkurrenz kann ermittelt werden, was besser oder schlechter ist. Das ist doch das Prinzip des evolutionären Fortschritts! Ja – aber die Frage ist: An welcher Front dürfen Menschen künftig noch konkurrieren? Wir haben es gesehen: zum Beispiel um ihre handwerklichen, künstlerischen oder mathematischen Ideen, meinetwegen auch um ihre Edelsteine, und natürlich vor allem um Ansehen für ihr Denken und Handeln, für die Harmonie ihrer Familie, für ihr gesellschaftliches Engagement, für die Schönheit ihres Hauses und Gartens – aber keinesfalls um ihre Lebensgrundlagen!

Warum sollten gerade hierzulande die Menschen zuerst von solchen Ideen ergriffen werden? Hören wir herum, was man von der Wirtschaft und von den Politikern erwartet, so finden wir überall die berühmte Verdrossenheit, ja, Zynismus: Der Mensch ist nun einmal ein Schwein, und die größten Schweine kommen stets nach oben. Was kann man da schon erwarten?

Auch von sich selbst hält man nicht viel mehr: Selber ist man doch auch nur ein armes Schwein. Merkwürdig, die ständige Wiederkehr dieser Redensart. „Da muß doch was dran sein“, fällt uns ein – wenn wir an die Wurzeln unserer Sprache denken! Und in der Tat: Das Bild stimmt! Welch wunderschönes, kluges Tier ist das Schwein in Freiheit! Die „armen Schweine“ – das sind nur jene, deren Beitrag zum Bruttosozialprodukt jemand zu maximieren versucht.

Also: Schluß mit der Massenschweinehaltung! Und wenn dazu etwa doch eine Revolution nötig wäre: Schweine aller Länder, vereinigt euch! Auf zur Selbstorganisation eurer Freiheit! Peter Kafka

Physiker am Max-Planck-Institut für Physik und Astrophysik in Garching bei München

Auszug aus seiner Anfang September bei Hanser erscheinenden Streitschrift: „Gegen den Untergang. Schöpfungsprinzip und globale Beschleunigungskrise“