Journalisten schneller als Richter

Der Prozeß um den mörderischen Solinger Brandanschlag schreit danach, die üblich gewordene Prozeßführung über die Medien zu stoppen / Zeit der Brandstiftung weiter unklar  ■ Von Walter Jakobs

Düsseldorf (taz) – „Ich glaube, daß dahinter etwas steckt, was wir alle noch nicht wissen.“ Auch der bisherige Prozeßverlauf um den Solinger Brandanschlag vermochte diesen Glauben des TV- Journalisten Peter Krüger (50), der in dieser Woche als Zeuge in Düsseldorf aussagte, nicht zu erschüttern. Krüger, kurz nach der Tat nach Solingen geeilt, „um den neonazistischen Hintergrund der Tat zu erfassen“, legte sich monatelang mächtig ins Zeug. Tatsächlich förderte Krüger wichtige Informationen über den rechtsradikalen Hintergrund der vom inzwischen enttarnten V-Mann Bernd Schmitt geleiteten Solinger Kampfsportschule „Hak Pao“ ans Tageslicht. Mit anderen Journalisten trug er dazu bei, daß die offizielle Verharmlosung des rechtsradikalen Milieus – Bürgermeister Bernd Krebs: „Rechtsextreme gibt es hier nicht“ – nicht aufrechtzuerhalten war.

Doch Krüger wollte mehr. Inspiriert von einem „Berg an Zweifeln“ bezüglich der Ermittlungen des Wiesbadener Bundeskriminalamtes (BKA), „wollte Krüger beweisen, daß das BKA und die Bundesanwaltschaft etwas vertuschen“. Dieses Ziel offenbarte Krüger schon zu Anfang seiner Recherche dem Solinger Journalisten Hans-Peter Meurer. Danach, so sagte Meurer, der selbst viel über die geheimnisumwitterten Akten von „Hak-Pao“ enthüllt hat, vor Gericht aus, habe er sich von Krüger ferngehalten. Am 8. September 1993 schlug Krüger dann in der ZDF-Sendung „Kennzeichen D“ zu. Dort durfte der Zeuge Karsten H. der Nation verkünden, daß drei der vier Angeklagten für die Tatzeit über ein wasserdichtes Alibi verfügten. Erst „nach zwei Uhr“, so der Zeuge, hätten sie seine Wohnung verlassen. Frühere gegenteilige Aussagen, die er bei der Polizei gemacht habe, seien falsch.

Um zwei Uhr stand das Haus der Familie Genc schon längst in Flammen. Der erste Notruf ging bei der Polizei um 1.42 Uhr ein. Vier Minuten zuvor soll der Brand nach Auffassung der Bundesanwaltschaft gelegt worden sein. Das ZDF wußte zum Sendetermin, daß der vermeintliche Alibizeuge sowohl bei der Polizei als auch beim Ermittlungsrichter mehrmals ausgesagt hatte, die drei seien „vor eins“ aus seiner Wohnung gegangen. Die Klippe wurde in dem Beitrag so umschifft: Unter „dem Streß eines Verhörs“ sei das Alibi „zunächst“ geplatzt.

Im ZDF wird es wieder zum Leben erweckt. Weil zu dieser Botschaft die Aussagen zweier Zeugen, die drei der Angeklagten beim Verlassen der Wohnung gegen 0.40 Uhr gehört haben wollen, nicht passen, erfahren die Zuschauer davon erst gar nichts. Inzwischen hat Karsten H., der zeitweise der rechtsradikalen „Deutschen Volksunion“ (DVU) angehörte, als Zeuge vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht ausgesagt, er könne „keine genauen Zeitangaben mehr machen“.

Doch „Kennzeichen D“ wußte am 8. September 1993 noch mehr: Weil sich nach der „Untersuchung der Feuerwehr ergibt, daß der Brand 20 bis 30 Minuten vor ihrem Eintreffen gelegt wurde“, stehe selbst bei dem von der Anklagebehörde unterstellten Zeitrahmen – Verlassen der Wohnung von H. gegen 0.40 Uhr – fest, „daß die Beschuldigten erst frühestens 10 Minuten und spätestens 15 Minuten nach der Brandlegung den Tatort erreicht haben können“.

Tatsächlich war der Brandverlauf schon zum Zeitpunkt der Sendung höchst umstritten. Was wann wie gebrannt hat, hängt in hohem Maße von der Art des benutzten Brandbeschleunigers ab. Eine definitive zeitliche Aussage zum Brandverlauf ist nach Aussage der bisher vorliegenden zwei Brandgutachten jedenfalls nicht möglich. Die Verteidigung des Angeklagten Felix K. hat soeben die Beiziehung von neuen Brandsachverständigen beantragt, die laut Verteidiger Georg Greeven „den naturwissenschaftlichen Beweis“ dafür antreten werden, daß der Brand früher als von der Bundesanwaltschaft unterstellt gelegt worden sein muß. Die neuen Gutachter würden beweisen, daß der einzig geständige Angeklagte Markus Gartmann „sich und zwei seiner Mitangeklagten zu Unrecht belastet“. Ob das Gericht neue Gutachter benennt, steht vorerst dahin. Zunächst, so hat der äußerst sorgfältig, ja penibel agierende Gerichtsvorsitzende Wolfgang Steffen entschieden, sollen die bisherigen Gutachter sich zu den aufgeworfenen Fragen äußern.

Sicher ist derzeit nur eins: Der in der Presse – zunächst vom ZDF – verbreitete Brandlegungszeitpunkt vermittelt eine Sicherheit, die es zu keiner Zeit gab. Die Botschaft des Mainzer Senders machte gleichwohl schnell in der bundesdeutschen Presselandschaft Karriere – auch in der taz. „Brandlegungszeit war also spätestens um 1.27 Uhr“, heißt es in der Ausgabe der taz vom 15. September 1993. Einen Tag später berichtet die Hamburger Wochenzeitung Die Woche in einer Reportage: „Seit 1.20 Uhr brennt das Haus Untere Wernerstr. 81.“ Andere Blätter folgen. Tatsächlich weiß bis heute niemand, wann die Täter exakt das Feuer legten.

Auch der Alibizeuge geisterte munter weiter durch die Medien. Peter Krüger läßt ihn am 23. November 1993 in einer TV-Reportage für den WDR auferstehen. Wieder haben drei der vier Angeklagten die Wohnung des Zeugen Karsten H. „nach zwei Uhr morgens verlassen“. Am Ende seines zweistündigen Films spricht Krüger sein Urteil: „Drei der Beschuldigten, das wird immer klarer, waren nicht an der Tat beteiligt.“ Zwei Tage später, am 25. November, verkündet ein anderer Journalist in einem Bericht des WDR- Hörfunks: „Daß die drei an der Tat nicht beteiligt gewesen sein können, ergibt sich aus ihren Aktivitäten während der Brandnacht.“

Der Karlsruher Oberstaatsanwalt Dirk Fernholz hat am Donnerstag Verteidiger Greeven anläßlich dessen Beweisantrages zum Brandhergang vorgeworfen, „zum wiederholten Mal ein weitgehend unzutreffendes und unvollständiges Bild“ vom Ermittlungsstand zu entwerfen. Diese Kritik geht in bezug auf den Aufklärungsbedarf zum Brandverlauf gewiß fehl. Auf die Presseberichterstattung gemünzt, liegt Fernholz aber leider richtig.