Kniefall

■ betr.: „Wahlplakat“, taz vom 15.8.94

[…] Ich finde es eine Geschmacklosigkeit, sich dieser damals – wie heute noch gültigen – historisch wichtigen Begebenheit zu bedienen, um damit die SPD, eine eher gemäßigt Mitte–links-trau'- ich-mich-nicht-so-recht-Partei, beziehungsweise deren Parteivorsitzenden in der wahlkampferheischenden Medienzeit der Lächerlichkeit preiszugeben. Das hätte ich mir doch lieber auf Kosten der etablierten CDU-Rechts-Partei gewünscht, die von Otto-Normal- Blind-Bürger auf den wiederkehrenden Vier-Jahres-Zeitraum gewählt wird. […] Annelie Mann, Hamburg

Übergeschnappt? Noch so ein Gipfelpunkt an Geschmacklosigkeit, und Ihr könnt Euch unser Abo in die Haare schmieren! Ernst und Christiane Rattinger,

Offenburg

Den Kniefall Willy Brandts im Warschauer Ghetto ausgerechnet in dieser Zeit mit redaktionellem Schnickschnack zu „verfremden“, ist ein schmerzhafter Fehlgriff!

Auch im Namen weiterer kritischer Offiziere und Unteroffiziere der Bundeswehr distanziere ich mich von dieser schlimmen Aktion und erwarte, daß die Verantwortlichen ein Wort des Bedauerns, der Einsicht und Scham kundtun. Helmut Prieß, OTl a.D., Sprecher des Vorstandes des Arbeitskreises Darmstädter Signal

Die Verfälschung des SPD- Wahlplakates ist wohl das mieseste, was ich in letzter Zeit in Eurer Gazette entdecken konnte. Sich über Willy Brandt und über die Juden derart zu mokieren, ist wirklich eine tolle Leistung. Ihr habt den „Orden pour l'Antisémite“ redlich verdient. Gott der Gerechte, die Blödheit mancher Zeilenschinder ist nicht mehr zu überbieten. Geht lieber Perlhühner züchten, Ihr seid zu einer echten Gefahr geworden. […] Michel R. Lang,

RADIO JUIVE, Berlin

Schämt Euch. Das ist das Dreckigste, Ekelhafteste, Schlimmste und Brandstifterischste, was ich je in der taz gelesen habe. In einer Zeit, in der immer mehr Leute die Geschichte am liebsten vergessen würden, zieht Ihr diese historische Geste in einer Art und Weise in den Dreck, die ich Euch nie verzeihen werde. […] K.M., Köln

Genial! Mehr davon, viel mehr! Reinhold Kern, Wiesbaden

Ganz toll!! Helft der SPD zu einer kritischen, zukünftigen und klugen Wahlkampfplanung, um zu gewinnen! Auch die taz ist wieder im Gespräch in Radio und Fernsehen, prima. Die trottelige, dumme Parteipolitik braucht einen „scharfen“ Biß. Steffen Tomschke, Göttingen

Gestern saßen wir (Mann, Frau, Kind und Nachbar) um unseren Küchentisch und rätselten über die Bedeutung der „SPD-Anzeige“. Ist es eine wirkliche Anzeige der SPD oder eine Satire?

Habt Ihr gedacht, „wenn die schon keine Anzeige bei uns schalten, verpassen wir ihnen eine gratis? Gut so, aber bitte allen gleichmäßig und gerecht. Es wäre nicht fair gegenüber Scharping, wenn Ihr diese Serie jetzt abbrecht, und Kohl hat mit Sicherheit auch noch was zu bieten. […] Rupertina Engel

Jetzt seid Ihr ja wohl endgültig neben (oder in?) der Spur? Schon lange überlegend, ob ich nicht langsam meine täglichen taz-Einkäufe einstellen soll, war ich doch diese Woche am Montag recht erfreut, von Euch mal wieder etwas geboten zu bekommen, das Herz und Hirn in Bewegung hält. Das hätte ich Euch beinahe nicht mehr zugetraut. Mein Büro – dort hängt das Plakat – ist gleich schöner geworden, es gab Diskussionsstoff, alles freut sich.

Doch heute der Rückschlag. Alle Befürchtungen wurden bestätigt. Die Dummheit hat gesiegt. Die „historische Geste“ sei in den Schmutz gezogen worden, sagen offensichtlich die obersten Korrektler. Es mag ja noch angehen, daß die so Urteilenden zu blöd sind, zu bemerken, daß – rein witztechnisch gesehen – die Verhohnepipelung des Pfälzers mit dem SPD-Paß nur auf einer Matrize funktioniert, in der die Aktion von Brand eine Wertschätzung erfährt. Viel schlimmer ist, daß die Redaktion kuscht, noch dazu mit dem Zusatz, das sei nicht „taz(volks?)gemäß“. Wo seid Ihr denn inzwischen gelandet? […] Rikola-Gunnar Lüttgenau,

Weimar

Was der taz-Verlag zum Stopp der Anzeigen-Serie schreibt, sind schwache nachträgliche Rechtfertigungen. Alles Argumente, die man schon vorher hätte erwägen können. Das heißt also, man stellt das Vorhaben ein wegen der öffentlichen Reaktionen. Satire kneift vor der Protestschreibenschlange aus dem Fax-Gerät!

Satire darf nicht erklärt werden müssen? Nein, darum geht es nicht, sie wurde nicht „nicht verstanden“: Hier hat Satire wehgetan, und genau das ist ihr Zweck! Es geht also eher um Satire-Feindlichkeit einer zunehmend zensurgeilen „Öffentlichkeit“ aus diversen Entrüstungsfraktionen (meist, um mit Robert Gernhardt zu schreiben, „Stellvertreterentrüstung“).

Es ist erschreckend, welch geistige Klimakatastrophe sich in der sogenannten kritischen Öffentlichkeit ausbreitet. Die taz, die kneift, und vor allem viele ihrer Leser sind eines der Hauptkatastrophengebiete. Inständige Bitte: Man zeige den Mut, Katharina Rutschkys befreienden Text über das Gesellschaftsfähigwerden der Zensur aus der neuen „Merkur“-Ausgabe abzudrucken! Werner Braukmann,

Warstein-Suttrop