■ Licht & Schatten
: Philosophen und Mörder

Philip Kerr: „Das Wittgenstein-Programm“. Wunderlich, 416 Seiten, geb., 42 DM

Wer heute Zugang zu Wittgensteins Philosophie sucht, greift mit Sicherheit zu dessen wohl bekanntestem Werk, dem „Tractatus logico-philosophicus“, seiner Jugendschrift und einzigen von ihm selbst veröffentlichten Arbeit mit der wunderbaren Einleitung: „Was sich überhaupt sagen läßt, läßt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muß man schweigen.“

Auch der britische Krimiautor Philip Kerr griff zum „Traktat“, um mit Wittgensteins Gedanken eine simple Serienkiller-Geschichte etwas aufzupeppen. Der Thriller (Originaltitel „A Philosophical Investigation“) spielt im Jahre 2013. London ist eine gewalttätige und verwahrloste Stadt. Gemordet wird andauernd, überall und sehr bizarr. Chefinspektorin „Jake“ Jakowicz nennt diese Massenschlächtereien kurz Hollywood-Morde – die Killer haben für sie zu viele Filme gesehen. Dann trifft sie auf einen, der sich Wittgenstein nennt und auch gleich anfängt herumzuphilosophieren: „Die Idee des Tötens: die Behauptung des eigenen Seins, die Leugnung des Seins eines anderen. Selbstschöpfung durch Vernichtung.“ Ein glasklarer Irrer also. Was folgt, ist das Übliche. Wittgenstein meuchelt, Jakowicz ermittelt und kommt dabei dem Psycho immer ein bißchen näher. Wie die Sache ausgeht, ist klar. Autor Kerr schmeißt die ganze Zeit mit Wittgenstein-Sprüchen, die seiner Meinung nach wohl sehr gut zu einem verrückten Serienmörder passen, nur so um sich. Das ist manchmal ganz amüsant, hilft der Geschichte aber nicht weiter, und für die Spannung ist diese Zitiererei absolut tödlich.

Brian Masters: „Leblose Liebhaber – Die Morde des Dennis Nilsen“. rororo, 384 S., 14,90DM

Daß echte Mörder viel gruseliger sind als erfundene, ist logisch. Kaum geschnappt, erscheint dann auch prompt das Buch zum Täter. Die meisten dieser True- crime-Storys sind reißerischer Müll. Aber es gibt auch ein paar gute. Brian Masters Studie der Psyche des englischen Serienmörders Dennis Nilsen ist so ein Buch, frei von allen Sensationslüsten. Nilsen („Bin ich verrückt? Ich fühle mich nicht verrückt.“) gestand fünfzehn Morde und neun Mordversuche. Masters hat sich intensiv mit der Lebensgeschichte des Mörders befaßt und konfrontiert dessen Erinnerungen und Selbstbetrachtungen mit anderen Quellen. „Wie Nilsens Verbrechen zu bewerten sind, steht außer Zweifel“, schreibt Masters, „doch könnte uns die detaillierte Analyse seines Lebens, seiner Gesinnung, seiner Emotionen und Reflexe zum – wenn auch lückenhaften – Verständnis einer düsteren und rätselhaften Seite der menschlichen Seele verhelfen. Wenigstens das wollte ich erreichen.“ Und das hat er.

Mikal Gilmore: „Das Herz der Gewalt“. Goldmann, 448 Seiten, geb., 44 DM

Als man Gary Gilmore im Herbst 1977 zum Tode verurteilte, war in Amerika seit mehr als einem Jahrzehnt niemand mehr hingerichtet worden. Zwar war die Todesstrafe in einigen Staaten gerade wieder eingeführt worden, doch das Land schien noch nicht bereit, im Namen des Gesetzes zu töten. Das änderte sich mit Gary Gilmore. Er verzichtete auf das Recht, gegen sein Todesurteil Berufung einzulegen und bestand darauf, daß der Staat einen Termin für die Vollstreckung festlegte. Gilmore wollte sterben. „Damit brachte er den Bundesstaat Utah und die Befürworter der Todesstrafe unvorhergesehen in eine heikle Lage“, schreibt sein Bruder Mikal. „Er machte sie nicht nur zu seinen Verbündeten, sondern degradierte sie darüber hinaus zu Handlangern, die ihn auf eigenen Wunsch hin töten mußten, um seine Vorstellung von Schuld und Sühne zu erfüllen. Und die Nation haßte Gary; nicht wegen seiner Verbrechen, sondern weil es so aussah, als hätte er in seiner Unbeugsamkeit und Arroganz eine Methode gefunden, die ihn als Sieger dastehen und ihn letztendlich entwischen ließ.“ Der Fall machte 1976/77 internationale Schlagzeilen und wurde von Norman Mailer zu einem Roman („Gnadenlos. Das Lied vom Henker“) verarbeitet.

Garys jüngerer Bruder Mikal, Musikkritiker beim Rolling Stone, hat jetzt die Geschichte der Familie Gilmore erzählt, „die wahre Geschichte meiner Familie und deren mörderische Geheimnisse. Dieser Aspekt des Falls Gary Gilmore kam nie zur Sprache, ganz einfach, weil niemand darüber redete.“ Es ist eine beklemmende, eine traurige Geschichte. Sie handelt von strenggläubigen Mormonen, von bitterer Armut und von einem brutalen Vater, der säuft und prügelt und immer wieder für Wochen oder gar Monate verschwindet. Ein amerikanischer Alptraum, aus dem kein Familienmitglied, auch Mikal nicht, restlos erwachen konnte. Gary Gilmore wußte das. Karl Wegmann