Ein verborgener Vielvölkerkrieg

In der Ogaden-Wüste im Osten Äthiopiens, einst zwischen Äthiopien und Somalia umstritten, erhalten somalische Sezessionisten Zulauf und bringen die Zentralregierung in Bedrängnis  ■ Von Bettina Rühl

Die Klimaanlage in der Suite des Luxushotels läuft, doch Ahmed Makahil Husein schwitzt. Der Vizepräsident der Regionalregierung von Äthiopisch-Somalia rutscht verlegen in dem großen Polstersessel herum und sagt immer wieder: „Ich weiß gar nicht, ob ich Ihnen da überhaupt antworten kann“ – noch vor der ersten Frage.

Für Ahmed Makahil Husein sind die Regierungsgeschäfte noch neu. Erst im April hat er seinen Amtssitz in Jijiga, der Hauptstadt von Äthiopiens „Region Fünf“, eingenommen. Nun ist er mit seinem Präsidenten Abdurahman Ugas in die äthiopische Hauptstadt Addis Abeba gekommen, um sein Programm vorzustellen – oder besser: um Verständnis zu werben. Denn die Region im äußersten Osten Äthiopiens ist ein Krisenherd.

Mittlerweile ist auch offiziell die Rede vom Kampf der äthiopischen Armee gegen Guerillatruppen im Ogaden. Im Frühjahr sollen nach Angaben der regierenden EPRDF (Revolutionäre Demokratische Front des Äthiopischen Volkes) bei einem Angriff auf ein Militärlager 40 Menschen getötet worden sein, nach inoffiziellen Angaben kamen im Frühsommer bei Attentaten auf der Straße zwischen Dire Dawa und Jijiga mindestens 18 Menschen um, darunter 8 Regierungssoldaten. Manche Straßen im Ogaden sind vermint, in einigen Städten wurden dieses Jahr immer wieder periodische Ausgangssperren verhängt. Das alles soll Ahmed Makahil Husein nun in Addis Abeba einer nationalen und internationalen Öffentlichkeit erklären.

Eine Erklärung bleibt allerdings aus. In der Sprachregelung der EPRDF ist nur die Rede von „einigen radikalen Splittergruppen“, die den Demokratisierungsprozeß zu verhindern suchten. Dabei ist der Machtwechsel in der „Region Fünf“ durchaus ein Symptom dafür, daß die politischen Konflikte im Ogaden tiefgreifend sind – es ist der dritte seit 1991. Aufgrund organisatorischer Probleme, so die offizielle Lesart, fielen die Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung, die in den übrigen Landesteilen Anfang Juni stattfanden, hier aus. Sie sollen am 28. August nachgeholt werden. Die größte Oppositionspartei, die „Nationale Befreiungsfront des Ogaden“ (ONLF), boykottiert.

Ahmed hält das alles und die häufigen Regierungswechsel geradezu für das Zeichen einer funktionierenden Demokratie: Wegen Amtsmißbrauchs und schwerer Korruption, sagt er, wurden seine Vorgänger nach nur einjähriger Amtszeit im April ihrer Posten enthoben. Einige wurden verhaftet, darunter auch Präsident und Vizepräsident; die wurden im Juli allerdings wieder freigelassen.

Für ein unabhängiges „Ogadenia“

Tatsächlich wird im Ogaden mit parlamentarischen und militärischen Mitteln um das gekämpft, was laut der äthiopischen Nationalcharta, die nach dem Sturz der Mengistu-Diktatur 1991 durch die EPRDF auf einer Nationalkonferenz ausgearbeitet wurde, eigentlich kein Streitpunkt sein sollte: das Recht auf Selbständigkeit. Denn nach dem Sieg über Mengistu teilte die EPRDF-Übergangsregierung den äthiopischen Vielvölkerstaat entlang der Sprachgrenzen in 14 Regionen ein und versprach den Völkern weitgehende Selbstbestimmung. Ob die auch das Recht zur Sezession umfassen soll, ist mittlerweile heftig umstritten. Im neuesten Verfassungsentwurf ist es nicht mehr enthalten. Äthiopiens Staatspräsident Meles Zenawi zeigt sich kompromißlos: In der Verfassung soll zwar das Recht auf Selbstbestimmung verankert werden, doch dank der demokratischen Verhältnisse sei das innerhalb des äthiopischen Staatsverbandes zu verwirklichen.

Ein Flügel der ONLF fordert mittlerweile ein sofortiges Referendum in Ogaden über die Unabhängigkeit. Das mag ein Grund dafür sein, daß die Fehler der abgelösten Regionalregierung so schonungslos geahndet wurden: Die ONLF hatte darin die Mehrheit.

Nach Angaben der ONLF wurden seit Mitte Januar 285 Personen in Äthiopisch-Somalia von EPRDF-Soldaten getötet, 180 Parteimitglieder wurden verhaftet oder verschwanden. „amnesty international“ kann diese Zahlen nicht bestätigen, kritisiert jedoch auch die Haftbedingungen für politische Gefangene: Die Häftlinge würden in dunklen Kellern gehalten, „dürftigst“ ernährt und hätten keine Möglichkeit, sich zu waschen, sagt ai-Mitarbeiterin Hanni Bienert. „Einige haben bis zu einem Jahr kein Tageslicht gesehen, und manche sind verhungert.“ Die Zahl der Geheimgefängnisse, in denen auch gefoltert werde, nehme wieder zu.

Doch in Ostäthiopien verläuft die Front nicht nur zwischen der Zentralregierung und der ONLF. Auch Oromo und Somali haben hier seit 1991 zum Teil blutig um Land und die Grenze zwischen ihren Regionen gestritten. Daß in Äthiopisch-Somalia zwölf somalische Clans leben, kompliziert die Lage zusätzlich. „Sogar in den Familien hat die Zersplitterung bereits angefangen“, warnt ein Äthiopier in Harar.

Die ONLF vertritt letztlich die Interessen nur eines Clans – der Ogadeni. Aus ihrem Alleinvertretungsanspruch für die Bevölkerung Äthiopisch-Somalias macht sie aber kein Geheimnis: „Ogadenia“ will sie ihren Staat nennen, der sogar Teile Somalias umfassen soll und den die ONLF gerne in der Arabischen Liga sähe – viele der jungen ONLF-Führungskader studierten oder arbeiteten Ende der achtziger Jahre im Irak oder in Saudi-Arabien.

US-Hilfe gegen somalische Islamisten

Im Kampf um „Ogadenia“ muß sich die ONLF nicht nur mit den anderen Clans auseinandersetzen, sondern auch mit der pansomalisch-islamistischen „Ittihad“ („Die Union“). Die beiden Gruppen sind personell verbunden: Scheik Ibrahim, seit 1986 Vorsitzender der ONLF, ist zugleich Mitglied im Führungsstab von Ittihad. Die panarabische ONLF verlangt territoriale Einheit, die von ihrem Clan dominiert wird; Ittihad strebt nach der clanübergreifenden Einheit aller somalischen Muslime. In ihrem Kampf wird sie nach Angaben der äthiopischen Regierung von Iran und Sudan unterstützt. Im April berichtete Verteidigungsminister Seye Abraha erstmals von einem Militärschlag gegen das Hauptquartier der Ittihad.

Abdullahi Ahmed-Mohamud, Mitglied der in Deutschland arbeitenden „Hilfsorganisation für den Ogaden“ (ORS), warnt aber davor, in dem Ogaden-Konflikt eine Auseinandersetzung zwischen Christen und Muslimen zu sehen: „Das ist Propaganda der Regierung, damit sie Unterstützung aus dem westlichem Ausland erhält.“ Darauf kann die EPRDF schon zurückgreifen: Nach Angaben des äthiopischen Verteidigungsministers haben die USA zugesagt, Militärfahrzeuge zu liefern. Mit US- Hilfe werden äthiopische Piloten im Luftwaffenstützpunkt Debre zur Zeit ausgebildet. Und im Frühsommer trafen sich äthiopische und US-amerikanische Einheiten zu dreiwöchigen Manövern.

In Ostäthiopien geht es nicht um einen christlich-islamischen Gegensatz, sondern die Front verläuft zwischen Fundamentalisten, islamischen Traditionalisten und säkularen politischen Kräften der Somali, die sich mit der EPRDF verbündet haben. „Sie fürchten die Alleinherrschaft der Ogadenis“, sagt ein deutscher Beobachter. Auch deshalb wurde der jüngste Machtwechsel in Jijiga möglich: Um der Dominanz der ONLF zu begegnen, gründeten zehn kleinere Oppositionsgruppen im Februar die „Demokratische Liga der Äthio-Somali“ (ESDL), die einen strikt antisezessionistischen Kurs fährt und nun die Regionalregierung in Jijiga stellt. Ihr Führer ist Außenhandelsminister Abdul- Mejid Hussein. Der ESDL haben sich inzwischen fast alle politischen Organisationen der äthiopischen Somali angeschlossen.

„Wenn die Regierung sich der ESDL gegenüber weniger repressiv verhält als in anderen Landesteilen, gibt es durchaus eine Chance“, meint der Beobachter. Doch wenn sich auch die Somali von der Zentralregierung unterdrückt fühlen, könnte die ESDL – bislang Garant einer relativen Stabilität – auseinanderbrechen. Dann könnten radikale Moslems erst recht Zulauf erhalten.