piwik no script img

■ Das PortraitCem Özdemir

Mundart wie Abstammung sind Programm. Cem Özdemir, „schwäbischer Türke“ aus Bad Urach, seit 1984 Deutscher, möchte sich nach der Wahl am 16. Oktober im Bundestag für mehr Rechte für Einwanderer stark machen. Der 28jährige Sozialpädagoge will die Einbürgerung von AusländerInnen erleichtern und endlich der doppelten Staatsbürgerschaft zum Durchbruch verhelfen. Voraussichtlich wird er der erste Türke und Angehörige der zweiten Ausländergeneration sein, der in den Bundestag einzieht. Seine Chance steht und fällt mit der Frage, ob Bündnis 90/ Die Grünen den Sprung nach Bonn schaffen. Mit Platz 6 auf der Landesliste wäre ihm dann ein Mandat sicher.

Özdemirs Engagement gründet auf persönlichen Erlebnissen. Als Sohn türkischer Eltern wurde er 1965 in Bad Urach geboren. Unter anderem weil der überzeugte Pazifist verhindern wollte, zur türkischen Armee eingezogen zu werden, beantragte er mit 16 Jahren die Einbürgerung in die Bundesrepublik. Seine Erfahrungen erlebte er als erniedrigend: auf dem türkischen Konsulat wurde ihm Fahnenflucht vorgehalten, sein Antrag eineinhalb Jahre lang „bearbeitet“. Demütigend für ihn auch das Verhalten der deutschen Beamten: Unter den Augen des Bediensteten mußte Cem handschriftlich seinen Lebenslauf zu Papier bringen. Nach viel Überzeugungsarbeit haben nun auch seine Eltern Einbürgerungsanträge gestellt und hoffen, noch an der Bundestagswahl teilnehmen zu können.

Cem Özdemir ist es gewohnt, sich in die Nesseln zu setzen, kritisiert und mißtrauisch beäugt von Kurden und Türken gleichermaßen; von manchen Deutschen – meist anonym – ausländerfeindlich angegangen. Diese Erfahrungen will er künftig noch stärker nutzen, um behutsam zwischen Kulturen und Religionen Brücken zu bauen. Selbst als Muslim geboren und durch den evangelischen Religionsunterricht Der „schwäbische Türke“Foto: Uli Reinhardt/

Zeitenspiegel

mit dem Christentum vertraut, ist ihm der Dialog der Religionen wichtig; fundamentalistische Glaubensrichtungen sind ihm zuwider.

Die Entscheidung, mit 17 Jahren den Grünen beizutreten, ergab sich aus seinen Aktivitäten in der Ökologie- und Friedensbewegung. Zunehmend mit Fragen der Ausländerpolitik konfrontiert, machte Cem diese zum Schwerpunkt seiner politischen Arbeit. Sein Ziel: einwanderungspolitischer Sprecher der künftigen Bundestagsfraktion. Dieter P. Anweiler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen