■ Was macht man eigentlich mit 26 Millionen Mark?
: Das Geheimnis des Lotto-Fiebers

Die Frage ist bis heute sowenig beantwortet, wie der Jackpot im deutschen Lotto-Block geknackt ist: Warum eilen immer mehr MitbürgerInnen zu den Lotto-Annahmestellen, jetzt, wo um den Lotto-Jackpot von 26 Millionen Mark gespielt wird? Zu dem Rekordspiel in der vergangenen Woche waren rund 23 Millionen Spielscheine eingereicht worden. Seitdem der Jackpot jede Woche voller wird, ist die Zahl der abgegebenen Spielscheine schätzungsweise um die Hälfte emporgeschnellt. So als lohnte es sich erst jetzt, wo es um mehr als 20 Millionen geht, für viele Normalbürger, zu Portemonnaie und Kugelschreiber zu greifen und sich am nächsten Kiosk das Lottospiel erklären zu lassen. „Normale“ Hauptgewinne von ein, drei oder vier Millionen sind für viele solcher Mühe nicht wert. Obwohl hier eine Wahrscheinlichkeit von 1 zu 14 Millionen bestehen soll, die richtigen Zahlen zu treffen. Beim Jackpot, wo zusätzlich noch die richtige Superzahl fällig ist, stehen die Chancen dagegen 1 zu 140 Millionen. Aber der Lotto-Neuling, der erst ab 20 Millionen Mark munter wird, hat das Prinzip schon kapiert: beim Lotto geht es nicht um die Wahrscheinlichkeitsrechnung, sondern um die Phantasie. Über Geld, über so viel Geld, daß die Summe in Politikeraugen schon etwas richtig Sündiges hat. Der CDU- Bundestagsabgeordnete Heinz Schemken fordert anläßlich der „Lotto-Hysterie“, den Höchstgewinn künftig zu begrenzen. So als würde allein die irrwitzige Hoffnung auf 26 Millionen die Menschen in eine Art Taumel, eine Art Rausch versetzen. Der deutsche Lotto-Block als Sündenbabel.

Alles falsch: Bei 26 Millionen kann es schon gar nicht mehr um Konsum gehen. Eine solche Summe kann kein Mensch durch den Kauf eines Eigenheims oder anderer Kleinigkeiten und eine lebenslange Leibrente verbraten – es sei denn, er hat eine Menge Übung im Geldausgeben und immer schon nichts anderes getan. Zugegeben, ein Stückchen Unsterblichkeit läßt sich schon erwerben. Zum Beispiel eine kleine Stiftung, die den eigenen Namen trägt. Oder ein gespendeter Trakt im heimischen Museum auf den Namen von Otto Hauptgewinner.

Letztlich aber wird bei einer solchen Summe das Geld zu dem, was es eigentlich auch ist: ein völlig abstraktes Medium. Und genau das, so läßt sich schließen, ist auch der Reiz der 26 Millionen, der Grund, warum viele Menschen erst jetzt und nicht wegen läppischer fünf Millionen bei den Lotto-Annahmestellen anstehen. Es ist die Lust des Normalbürgers, mit seinen Kreuzchen auf kariertem Papier an einem dadaistischen Happening teilnehmen zu können, in dem sämtliche marktwirtschaftliche Gleichungen aus Arbeit und Geld und Geld und Konsum ad absurdum geführt werden. Ein Stückchen Freiheit also. So gesehen, wird der Hauptgewinn völlig unwichtig. Barbara Dribbusch