■ Nigerias Militärdiktator wechselte die Armeespitze aus
: Abnutzungsgefecht

Wie funktioniert ein Land, in dem Soldaten tatenlos zuschauen, wie Schwarzhändler die Treibstoffleitungen des internationalen Flughafens anzapfen und damit nicht nur das Auftanken erschweren, sondern mit ein bißchen Unvorsichtigkeit den ganzen Flughafen in die Luft jagen könnten? Die Rede ist von Nigeria, wo sich ein Militärregime mit dem eigenen Volk in einer politischen und wirtschaftlichen Kraftprobe hoffnungslos verzankt hat. General Sani Abacha, seit einem Dreivierteljahr nigerianischer Präsident und seit bald zehn Jahren der starke Mann des Militärs, regiert auf dem Papier einen nach Bevölkerungszahl, Wirtschaftskraft und diplomatischer Reichweite sehr mächtigen Staat. Er regiert diesen Staat in den Abgrund. Aber Nigeria funktioniert.

Mit einem „zweiten Ruanda“ – ein Etikett, mit dem heutzutage jede afrikanische Krise belegt wird – hat der Machtkampf in Nigeria nichts zu tun. Die Militärs haben Moshood Abiola, den Sieger der demokratischen Präsidentschaftswahlen vom letzten Jahr, ins Gefängnis gesteckt und vor Gericht gestellt, sie haben die politischen Freiheiten abgeschafft und verhaften zur Zeit ungewöhnlich viele prominente Regimegegner. Sie haben auch die Benzinpreise erhöht und damit die Lebensbedingungen vieler Millionen Menschen in der auf Öl gebauten nigerianischen Wirtschaft verschlechert. Nicht zufällig waren es die Ölarbeitergewerkschaften, die vor fast zwei Monaten im Namen Abiolas in den Streik traten und damit eine Kraftprobe mit großem Eskalationspotential starteten. Aber ein allgemeiner Volksaufstand ist nicht in Sicht, eher ein Abnutzungsgefecht, in dem die Ausdauer zählt.

Die nigerianische Politik wird oft als ewiger Verteilungskampf beschrieben: Wer bekommt welchen Teil der Ölgelder und – noch wichtiger – wer entscheidet darüber? Da letztere Frage letztlich die Machtfrage ist, kommt die Macht Nigerias in dem Maße aus den Gewehrläufen, wie das Land vom Öl abhängig ist. Zwar wünschen viele Nigerianer ihre bewaffneten Herren inzwischen zum Teufel. Und die Demokratiebewegung versucht nach Kräften, zur Frage „Wer entscheidet?“ die Frage „Wer kontrolliert?“ hinzuzufügen und damit die Menschen für Demokratie zu begeistern. Aber nicht der Kampf um Demokratie, sondern der um knappes Öl und knappes Geld hat Nigeria jetzt zu einem Land gemacht, in dem man sich kaum noch von einer Stadt zur anderen bewegen kann, in der die Metropole Lagos zur Schwarzmarkt- Geisterstadt verkommt und die abgelegene offizielle Hauptstadt Abuja mangels regulärer Flugverbindungen verwaist.

Es ist nicht zu erwarten, daß sich dieser Zustand bald ändert. Eine Entscheidung im Machtkampf steht vermutlich nicht bevor. Mit der ewigen Rede „Diktatur heute, Demokratie morgen“ haben es die Militärs geschafft, ihre Herrschaft als Normalzustand erscheinen zu lassen. Gefahr für Abacha droht höchstens aus den eigenen Reihen, was die regelmäßige Auswechslung der Armeespitzen erklärt. Der Prozeß gegen Abiola wird von Monat zu Monat verschoben werden, die nigerianische Schattenwirtschaft wird sich auf andauernde Benzinknappheit und damit den restafrikanischen Normalzustand einstellen, die Streiks werden auf- und abschwellen, und die Entfremdung zwischen Militärs und Volk wird wachsen. Keine Perspektive also – und daher auch keine Veränderung. Dominic Johnson