■ Die populäre Konzertführerin: Sounds für's verpfuschte Leben
Neben der ohnehin immer verstopften A 1 füllt sich auch die A 27 wieder mit Staus, und auch das Überschall-Festival, das nunmehr sechste, kündet davon, daß es ein Ende hat mit dem Sommerloch. Wer am Donnerstag allerdings nicht ins Aladin zum Boo-Yaa-T.R.I.B.E. und Co. geht und trotz allem bei der Jazz Session der Musikerinitiative e.V. um 21.30 Uhr im Buntentor aufläuft, ist uns langsam unheimlich.
Ein unbedingt lohnenswerter Brocken am Sonntag: Neurosis. Obwohl in Oakland an der San Francisco Bay zu Hause, stehen die fünf schmadderhaarigen Kalifornier für alles andere als Surfmusik. Statt dessen werden Hardcore-, Ethno- und Gruselelemente zum Soundtrack für's verpfuschte Leben gemischt. Existenzangst ist das Leitmotiv, brachial mit schweren Gitarren und sinisteren Keyboard-Tönen inszeniert. Daß die Welt eigentlich viel schlimmer ist, versucht uns Sänger Scott Kelly mit dermaßen wahnsinigen Schreien aus seinen Eingeweiden klarzumachen, daß es ihm im vergangenen Jahr in Prag gerüchteweise ein Stimmband anriß. Die brillianten Opener Grinch kommen ebenfalls aus Oakland, blicken ähnlich optimistisch in die Welt, schaffen es aber, im spährischen Verzweiflungs-Lärm mit überraschend heftigen Hochgeschwindigkeitsattacken markerschütternd zu überraschen. Ab 20 Uhr also Weltschmerz mit fulminanter Psycho-Dia-Show in der Kesselhalle des Schlachthofs.
Ein Eintrag ins New Yorker Melderegister, ist in der Kommerz-Hardcoreszene die halbe Miete. Wer wüßte das besser als Biohazard, derzeit wohl populärste Kapelle unter der kapuzentragenden Jugend, die keine Gelegenheit ungenutzt läßt, auf den Herkunftsstadtteil Brooklyn hinzuweisen. Musikalisch ist das Werk der gerne-harten Underdogs nicht von schlechten Eltern: knallharte, abgestoppte Gitarrenriffs, vom Hip Hop entlehntes Schlagwerk, kraftvoller Gesang. Da möchte man fast unbeschwert herum moshen oder den eigenen Leib vom Bühnenrand schleudern, wenn da nicht das Attitüdenproblem des Quartetts wäre: Sozialdarwinistisches Cliquengehabe, eine gesunde, den Blick über den Tellerrand vermeidende „Wir sind hart, weil die Welt schlimm ist“-Einstellung, bei der jene, die außerhalb des Gruppenzusammenhangs stehen, halt Pech gehabt haben, wenn sie aussterben. Ganz so arg wie die Kollegen Pro-Pain, die sogar gegen obdachlose Schwächlige wettern, treiben es Biohazard nicht. Ein Hauch mehr Intelligenz würde den Großstadtrebellen am Montag um 20 Uhr im Aladin aber auch nicht schaden.
Im Kaufhaus der Popgeschichte haben die Berliner Gebrüder Gum ganz groß eingekauft: beatleske Gesangsharmonien, gekonnte Pop-Harmonik und ein Schuß wüste Dinosaur Jr.-Gitarren für die Ecken und Kanten dürften am Mittwoch im Haus am Walde machem Penäler angesichts des nahenden Ferienendes die Lebensfreude zurück geben. Los geht's um 20 Uhr
L.R.
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