Kniefall

■ betr.: Scharping-Poster: „Das kann ich auch“, taz vom 15.8.94, „Serie gestoppt“ (taz-intern), taz vom 17.8.94, und Reaktionen

Fällt Euch denn gar nichts Besseres ein, als politische Gesten, die vor der Öffentlichkeit und dem Ausland als zweifelsfrei versöhnend anerkannt sind, derart dilettantisch als „Wahlkampfsatire“ zu verunglimpfen?

Eure Provokation in Ehren – aber bitte da, wo sie Sinn macht. Dieser Schuß jedenfalls, ging voll nach hinten los und manövriert Euch als ernstzunehmende, verantwortungsvolle Tageszeitung ins Abseits. Gute Besserung.

Zu meiner Person: Ich bin politisch eher links anzusiedeln. Jedoch verbietet mir mein klarer Menschenverstand, diese Werbeaktion für gut zu heißen. Euch scheint dieser klare Menschenverstand leider abhanden gekommen zu sein! Ute Haas, Laatzen

Schade. Daß das Branping-Plakat von Montag knapp an der Geschmacklosigkeit vorbeischrappte, stimmt zwar – aber welche Titanic- Anzeige tut dies nicht. („Wenn Sie diesen Pudel nicht vor der Abschiebung bewahren, erschießen wir diesen Kurden!“)

Satire ist dazu geschaffen, einen Affront zu erzeugen. Und der brüsige Tonfall Rudolf Scharpings, wenn mensch ihm den Satz („Das kann ich auch“) in den Mund legt, wiegt die Geschmacklosigkeit durch Humor mehr als auf.

Erscheinen die taz-Plakate denn jetzt wenigensten in einer kleinen Auflage für satirefeste LeserInnen zum Nachbestellen? Sebastian Lovens, Münster

Da denkt man nun, die Frage nach dem Wesen und vor allem nach den Grenzen der Satire hätte der olle Kurt Tucholsky längst und endgültig beantwortet. Aber die taz weiß es wohl besser: übersetzt aus dem tollen Verlautbarungsdeutsch Eurer taz-intern-Meldung (besonders schön: „die Serie wurde als der taz nicht adäquat angesehen“ – der kleine Schritt von der Dialektik zur Dilettantik) ist Satire demnach nur das, was auch die letzte political-correctness-infizierte Triefnase als solche erkennt und an-erkennt. „Bei mißverständlichen Interpretationsmöglichkeiten lesen Sie die Gebrauchsanleitung oder fragen Sie Ihren Psychiater oder Apotheker.“ Wenn das die neue taz-Mehrheitsmeinung ist, gebt Ihr wirklich ein selten trauriges Bild ab.

Ihr schreibt, daß „einzelne Entwürfe als Satire nicht überzeugten“. Das fällt Euch nicht nur reichlich spät ein, vor allem können sich die taz-LeserInnen davon nur schwer selbst überzeugen, solange nur ein einziges Plakat veröffentlicht wurde (dieses zumindest war als Charakterisierung von Möchtegern-Enkel Scharping und seiner Partei ein Volltreffer). Wenn nun also die Plakatserie schon unwiderruflich gestoppt ist, schlage ich als Kompromiß vor, die restlichen Entwürfe alsbald in etwas verkleinerter Form zusammen abzudrucken (gut kopierfähig sollten sie schon sein) – natürlich muß oben auf der Seite „Dokumentation“ stehen. Was mit RAF-Bekennerschreiben möglich ist, sollte doch auch hier funktionieren, oder?

Besteht eigentlich die Gefahr, daß man sich mit political correctness durch Hautkontakt ansteckt? Bis zur Entwarnung Eurerseits jedenfalls werde ich die taz künftig nur noch mit Gummihandschuhen lesen. Helge R. May, Bonn

„Was darf Satire? Alles!“ Aber was für Kurt Tucholsky, Karl Kraus und die Titanic gilt, gilt für die ehemals „einzige (links)radikale Tageszeitung“ nicht. Da lautet das Motto: „Was darf Satire? Nicht mißverständlich sein.“ Herzliches Beileid. Richard Kelber, Dortmund

Ich find die Einstellung der „Wahlplakate“-Serie falsch. Ich hab' über die Scharping-Anzeige lachen können.

Ein bißchen mehr Provokation durch die taz würde Euch schon guttun, manchmal seid Ihr wirklich zu ängstlich – allen sollt Ihr es doch wohl nicht recht machen – oder? Tommy, München

Ihr seid ja wohl völlig durchgeknallt: „Satire darf nicht der Erläuterung bedürfen“??? Vielleicht bedarf es der Erneuerung bei einigen Eurer Redaktionsmimöschen! Egal was man sagt, irgendwer ist immer „betroffen“ – wenn Ihr Euch danach richten wollt, macht lieber gleich den Laden dicht! Robert Kreße, Witten

Es stimmt: „Satire darf nicht der Erklärung oder Erläuterung bedürfen“ – doch nicht die Einstellung der Serie ist die logische Konsequenz aus dieser Feststellung, sondern deren Fortsetzung. Satire die jeder versteht, ist langweilig. Wenn jemand Satire nicht versteht, besser: nicht verstehen will, zeigt das. Sie hat getroffen. Denn wer im SPD-Plakat eine Verhöhnung von Willy Brandt sieht, will nur vom schlaffen Profil Scharpings ablenken. Schlimm, daß die taz-Redaktion vor dem taz-Verlag kuscht und der vor der SPD (so aus dem Bericht in der FR zu folgern). Sicher, es gibt gute und schlechte Satire. Also: Schmeißt die schlechten Plakate weg und setzt die Serie mit den guten fort. Die taz ist angepaßt genug. Jürgen Schön, Köln

Meine Frau und ich haben heute im Spiegel den Abdruck Ihres Scharping-Posters zum Wahlkampf gesehen – und was haben wir für Freude gehabt. So richtig abgelacht! Ralf-G. Sponholz, Bad Segeberg

Ein toller Coup ist Euch gelungen: war das Wahlplakat zwar eher mittelmäßig (verglichen mit zum Beispiel der legendären Engholm-Badesession), hat es aber eine tolle Debatte gezündet. Ich kann es kaum erwarten, weitere Aufschreie des moralischen Entsetzens, der empörten Distanzierung und der Abokündigungs-Drohung zu vernehmen. Die beste Satire schreibt das Leben; die real existierende Dummheit erheitert mich aufs beste... Andreas Hertsch, Karben