Ab und zu reißt eine Leitung

■ Alfred Schmidt mit Zeichnungen vom Gelsenkirchener Bergbau, Zeche Hugo

Die Tür unseres Käfigs wird zugeschoben, es staubt schwarz auf, die Fahrt in die Tiefe geht schnell. Auf dem Weg nach unten werden die Worte verweht und der Druck auf den Ohren schmerzhaft spürbar. Nach 1.123 Metern macht der Förderkorb halt: Auf der zehnten Sohle von Schacht 4 der Zeche Hugo/Consolidation in Gelsenkirchen-Bismarck stellt der Maler Alfred Schmidt seine Bilder aus. Für den Kunstbetrieb unsichtbar.

Schmidt hat den Ort mit Bedacht gewählt. Seit über 20 Jahren fährt er auf Zechen ein, beobachtet die Bergleute, bildet ihre Arbeitswirklichkeit ab. Viele haben ihm dabei über die Schulter geschaut, so wie der Maschinensteiger Klaus-Jürgen Klein: „Ich hab' die Bilder hier unten wachsen sehen. Jetzt will ich in jedem Fall wissen, wie sie fertig aussehen.“ Schmidt hat nun drei Wochen lang 28 seiner Schwarzweißzeichnungen im „Anschlag“ aufgehängt, dort, wo die Kumpel von der zehnten Sohle anstehen, um per Förderkorb ans Tageslicht gehievt zu werden. Jetzt vertreiben sie sich mit seinen Bildern die Wartezeit: Zeichnungen ihrer Maschinen, ihrer Arbeitsplätze, der Kollegen – Männer, dargestellt zwischen trotzigem Selbstbewußtsein und totaler Erschöpfung. Der Hauer Ertan Kuyubasi bewundert „alle die Einzelheiten, die auf den Bildern zu sehen sind. Ich bin sehr froh, daß sie hier hängen und zeigen, wie wir arbeiten. Das finde ich sehr gut, daß da jemand ist, der unsere Arbeit an die Öffentlichkeit bringt.“ Das ist nach Schmidts Ansicht auch bitter nötig: „Sogar mich als Nichtbetroffenen kränkt die Nichtachtung, die der Bergmann erfährt. Heute ist er angesehen wie der letzte Dreck.“

1984 waren auf 23 Zechen der Ruhrkohle AG 116.500 Menschen beschäftigt. Jetzt arbeiten noch 70.300 auf 13 Zechen. Weitere 10.000 ihrer hoch subventionierten Arbeitsplätze sollen vor der Jahrhundertwende gestrichen werden. Die Kumpel, die für die Wirtschaftswunder-Industrie unentbehrlich waren, sollen nun Kostgänger sein? „Warum ist denn die deutsche Kohle so teuer? Weil wir 'nen hohen Sicherheitsstandard haben. Wir hatten 1993 sieben Tote, in China waren es Tausende. Und ob die in Afrika Staubmasken tragen oder nicht, das will doch hier keiner wissen. Was die Öffentlichkeit interessiert, ist einzig und allein der Preis pro Tonne ab Rotterdam!“

Diese Empörung teilen sie mit dem Gelsenkirchner Künstler Schmidt. Warum, fragt er, erhalten die Astronauten soviel Anerkennung, die sich von der Erde wegbewegen – nicht aber die Bergleute, die sich schon seit Jahrhunderten in den Planeten hineinwühlen? Die Kumpel erbrächten schließlich „eine menschliche Kulturleistung höchsten Ranges“.

Mit der Verbindung von Kultur und Kunst hat sich der 64jährige Alfred Schmidt beschäftigt, seit er Malerei studiert hat. Er schimpft auf „den Kanal Galerie-Museum“: „Auf dem können Sie nichts mehr in die Gesellschaft hineintragen. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Lebenswirklichkeit der Menschen findet in der Kunst doch gar nicht mehr statt.“

Schmidt möchte es besser machen: „Die Leistung, die mich beeindruckt, will ich nach außen tragen.“ So hockt er im schwarzen Gewirr von Kabeln, Loren, Schienen, Gesteinsbrocken und Werkzeug und zeichnet seine Umgebung auf Karton. Einen Kilometer näher am Erdmittelpunkt als in seinem Atelier ist es natürlich heiß. So heiß, daß Schmidt der mit Kohlestaub vermischte Schweiß auf die werdende Tuschzeichnung tropft und sich dort einfrißt: „Das will ich gar nicht verhindern. Auf dem fertigen Bild soll offenbar werden, wo es entstanden ist.“ Alle seine Arbeiten stellt er fast komplett unter Tage fertig: „Ich will mich der Sache aussetzen, die ich zeichne. Meine Arbeit soll sich unter den Augen der Leute abspielen, deren Sache ich zu meinem Thema mache.“

Seine Bergbau-Motive haben Schmidt bekannt gemacht und sogar die Ehrenbezeichnung „Bürger des Ruhrgebiets“ eingetragen. Dafür will er den Bergleuten danken, ihnen „Rechenschaft ablegen“ über seine Tätigkeit. Deshalb zeigt er seine Zeichnungen diesmal nicht im Museum, nicht auf dem Marktplatz, nicht an der Wand des U-Bahnhofs, sondern hier, auf der zehnten Sohle. Sie hängen zwischen Sicherheitshinweisen an dem Stahlskelett, das die „Strecke“ (den Tunnel) stützend auskleidet. Ab und zu reißt eine Leitung. Dann ergießt sich Wasser über die in Klarsichtfolie eingeschweißten Bilder.

Mit seiner Umsetzung des Arbeitsalltags sind die meisten Kumpel zufrieden: „Der ist jemand, der das schon gut im Griff hat“, lobt der Steiger Hans Jenzowski: „Er zeigt Leuten von außerhalb realistisch, wie gefährlich die Arbeit hier ist. Um so was überhaupt bildlich darstellen zu können, muß man sich schon lange mit dem Bergbau beschäftigt haben.“

Manchmal geht die Wertschätzung allerdings zu weit. Neun Zeichnungen sind schon „weggekommen“: Vielleicht wollten die Bergleute ihren Frauen zeigen, wo sie acht Stunden pro Schicht sind. Schmidt nimmt die Diebstähle hin. Er nennt sie „tätiges Kunstinteresse“. Patrick Bierther

„Alfred Schmidt – Unter-Tage- Ausstellung“, noch bis 28. 8., Zeche Hugo/Consolidation in Gelsenkirchen-Bismarck.