Frauen an die Front

■ Die bosnische Regierung mobilisiert: „Wehrfähige Patriotinnen“ sollen den Soldaten Feuerschutz geben

Wien (taz) – Die bosnische Führung geht militärisch in die Offensive: Bevölkerung und Armee werden seit Tagen über Flugschriften und Propagandasendungen darauf vorbereitet, daß mit Gewalt erreicht werden müsse, was mit Diplomatie bisher nicht möglich war. Gestern verbreitete Radio Sarajevo erstmals einen Appell an Frauen im Alter zwischen 19 und 27 Jahren, sich zum Dienst in den bosnisch-muslimischen Streitkräften zu melden. Das Verteidigungsministerium rief alle „wehrfähigen Patriotinnen“ zum Sanitäts- und Bürodienst hinter den Linien auf. Militärisch geschulte Frauen werden aufgefordert, bei Kampfeinsätzen in den Schützengräben den Männern Feuerschutz zu geben.

Im bisherigen Verlauf des Krieges nahmen Frauen, zumindest auf muslimischer Seite, am direkten Kampfgeschehen nicht teil. Doch nun scheint auch die bosnisch- muslimische Armeespitze die eigenen Streitkräfte umzuorganisieren. Der militärische Sieg über die abtrünnigen Brüder in der westbosnischen Region Bihać und die kleinen, aber zahlreichen Landgewinne in Nord- und Ostbosnien gaben jenen Kräften in Sarajevo Auftrieb, die sich nicht länger an internationale Friedensvertragsvorschläge halten und statt dessen auf eigene Faust die serbisch besetzten Territorien zurückerobern wollen.

Auch Präsident Alija Izetbegović zeigt sich Abend für Abend im Staatsfernsehen, wie er in Armeeuniform irgendeine Truppenparade abnimmt oder Einheiten zum Durchhalten auffordert. „Der Sieg ist auf unserer Seite“, hämmert er seinen Kämpfern ein.

Vor allem ein Mann wirft sich in die Pose eines Haudegens und wird dem bosnisch-serbischen Kriegsherren und Oberkommandierenden Ratko Mladić immer ähnlicher: Razim Delić fordert von seiner politischen Führung noch vor dem Winter grünes Licht für eine Großoffensive gegen die gegnerischen Freischärler- und Tschetnik-Verbände. Ginge es nach dem Muslim-General, dann hätte er den von den Serben gehaltenen Posavina-Korridor entlang der Save-Tiefebene schon längst blockiert.

An manchen Stellen ist der Korridor gerade noch vier Kilometer breit und auch für eine waffentechnisch unterlegene Armee wie die bosnisch-muslimischen Streitkräfte problemlos einzunehmen. Daß es bisher zu dieser Entscheidung noch nicht gekommen ist, hat nur einen Grund: Alle Seiten wissen, fällt die Pozavina an die bosnischen Muslime, könnten die bosnischen Serben aus einer Mischung von Wut, Trotz, Verzweiflung und Vergeltungssucht zum „totalen Krieg“ übergehen – wie ihn Serbenchef Radovan Karadžić bereits mehrmals angekündigt hat.

Jede Kräfteverschiebung in Nordbosnien hätte zur Folge, daß keine der vom Krieg betroffenen Seiten, auch nicht die Kroaten, sich auch nur in Ansätzen weiter an den internationalen Friedensplan der Genfer Kontaktgruppe gebunden fühlen würde. Wird die serbische Achillesferse getroffen, Westbosnien und die serbisch besetzte Krajina in Kroatien für die Serben nicht mehr erreichbar, ist auch für Zagreb die Verlockung groß, seine verlorenen Territorien mit Waffengewalt zurückzuholen.

Zumindest malen die UNO- Kommandeure vor Ort und die internationalen Friedensvermittler bereits jetzt ein Schreckensszenario an die Wand, nach dem der brüchige Friede in Kroatien und die relative Ruhe in Bosnien zu einem balkanweiten Flächenbrand ausarten könnten. Doch außer Warnungen an alle Kriegsparteien, daß es soweit erst gar nicht kommen dürfe, fällt den Diplomaten in Genf und beim Weltsicherheitsrat in New York nichts Konkretes ein, um einen dauerhaften Frieden zu sichern. Am Dienstag gaben die Vertreter der Kontaktgruppe zu Bosnien endgültig ihre tagelangen Beratungen auf, eine gemeinsame Stellungnahme zur Lage in Bosnien abzugeben. Nach Angaben von Diplomaten war es nicht möglich, aus zwei völlig unterschiedlichen Entwürfen einen einheitlichen Text zustandezubringen. Juli Woronzow, russischer UNO-Botschafter und amtierender Präsident des höchsten UNO-Gremiums, hatte seine Zustimmung zu einem Entwurf der westlichen und neutralen Mitglieder strikt verweigert. Und Frankreichs Außenminister Alain Juppé gab gestern bekannt, er fasse bereits den eventuellen Abzug seiner Blauhelme aus Bosnien in Betracht, sollte es bis zum Oktober nicht zu einem endgültigen Friedensvertrag kommen. Karl Gersuny