Arbeit bleibt Apartheid

In Südafrikas Betrieben werden die Karrierechancen nach wie vor entlang der alten Rassentrennungslinien verteilt / Riesiges Lohngefälle  ■ Aus Carletonville Willi Germund

Die Schilder, die einst Parkbänke nur für Weiße reservierten, sind seit Jahren aus dem Stadtbild von Carletonville verschwunden. Auch das öffentliche Schwimmbad und die Stadtbücherei der konservativen weißen Bergwerkstadt dürfen inzwischen – zumindest theoretisch – von Südafrikanern aller Hautfarben benutzt werden. Aber unter Tage, im Goldbergwerk West Driefontein des Unternemen Goldsfields, rumort wie in alten Tagen der Apartheid. „Die Weißen weigern sich, mit uns zusammen auszufahren“, sagt ein Gewerkschaftsfunktionär, „das ist der wichtigste Streitpunkt, den wir gegenwärtig haben.“

Zur Debatte stehen Privilegien, die bisher als selbstverständlich galten. Bei Schichtbeginn fuhren in der Vergangenheit die weißen Kumpel zuletzt in den Förderkörben aus drei Etagen ein – und durften als erste in den Käfigen, die je 50 Mann fassen, ausfahren. Für die schwarzen Bergarbeiter bedeutet dies längere – unbezahlte – Wartezeiten. Bei Goldfields weigerten sich schließlich 450 Kumpel, den Förderkorb bei Schichtende zu betreten. Ein weißer Vorarbeiter hatte ihnen den Zutritt gemeinsam mit Weißen verwehrt und gehöhnt: „Wartet doch auf Präsident Nelson Mandela, um hochgeholt zu werden.“

„Der südafrikanische Arbeitsplatz ist durch scharfe Ungleichheiten in Einfluß, Wohlstand und entlang rassistischer Linien gekennzeichnet“, sagt Karl von Holdt von der gewerkschaftsnahen Zeitschrift Labour Bulletin, „aber die Arbeiter wollen Veränderungen, die den politischen Reformen Südafrikas entsprechen.“ Das gibt sogar der Inhaber eines mittelgroßen Betriebs in den Natal Midlands zu, der anonym bleiben möchte: „Die Leute sehen bisher nur eine Veränderung: Die ANC- Leute und früheren Gewerkschaftsfunktionäre fahren jetzt im Mercedes oder BMW herum, während sich vor Ort in den Betrieben nichts getan hat.“

Die Goldfields-Arbeiter in Carletonville jedenfalls sind mit ihrer Geduld am Ende. 15 bis 16 schwarze Arbeiter schlafen in Hostels in einem Saal, während die weißen Kumpel in der Stadt akzeptable Unterkunft finden. Ein Mann, der seit 25 Jahren in dem Goldbergwerk arbeitet, fühlt sich bei jeder Dusche gedemütigt: „Egal, wie alt man ist. In den Sammelduschen sehen mich auch junge Kollegen nackt. Bei uns zu Hause in den Dörfern würde sich so etwas nicht gehören.“

Südafrikas Gewerkschaften streben ein Mitbestimmungsmodell nach deutschem Vorbild an. Karl von Holdt: „Entscheidungsprozesse sind das Privileg des weißen Managements.“ 180.000 Weiße arbeiten in solchen Positionen in Südafrika – bisher schafften es nur 3.000 Schwarze, ähnliche Höhen auf der Karriereleiter zu erklimmen. Und die weißen Bosse, die lauthals über angeblich maßlose Lohnforderungen der Gewerkschaften lamentieren, bedienen sich ungeniert aus den Firmenkassen.

Das Durchschnittseinkommen eines südafrikanischen Managers liegt nach Angaben des „Labour Research Service“ monatlich bei 48.000 Rand (24.000) Mark. Spitzengehälter gehen bis zu 65.000 Mark monatlich. Ein südafrikanischer Arbeiter (Durchschnittslohn rund 550 Mark) muß 40 Jahre lang schuften, um auf die gleiche Summe zu kommen. 1993, in einem Jahr schrumpfender Umsätze und Profite, hielten die Manager eine Durchschnittssteigerung ihrer Einkommen von 18,4 Prozent für angebracht. Zum Vergleich: Die Autoindustrie ist gegenwärtig bereit, den Arbeitnehmern zehn Prozewnt mehr zuzugestehen, die Gewerkschaften fordern 12 Prozent.

Verglichen mit einem Land wie Großbritannien fallen die Managergehälter mehr als üppig aus. An der Themse liegt das Einkommen eines Managers im allgemeinen 6,4mal höher als der Durchschnittslohn – in Südafrika ist es zehnmal so hoch.

Die Argumente sind immer gleich: Geht es um Managerbezüge, werden Parallelen zu Industrienationen gezogen. Geht es um Arbeitnehmerforderungen, verweisen die Arbeitgeber auf Löhne in Staaten der Dritten Welt. Sozialer Frieden kann laut Karl von Holdt in Südafrika denn auch nur erreicht werden, wenn eine Mindestvoraussetzung erfüllt wird: „Wir brauchen eine substantielle Umverteilung der Macht und des Wohlstands – weg von der Elite, die die Kontrolle über Wirtschaft und Arbeitsplätze besitzt.“