„Knochenarbeit ist das“

■ Jugendliche legen einen völlig vergessenen Teil des KZ Bergen-Belsen frei

„Nee, so anstrengend haben wir uns das nicht vorgestellt“, sagen die Telekom-Azubis aus Hamburg. „Das ist eine unheimlich feste Erde“, sagt einer und muß erst mal eine rauchen. „Richtig Knochenarbeit“, sagt ein anderer und stützt sich schwer auf den Spaten. „Als wir ankamen, war hier nur Wald.“ Birken vor allem, richtig dicke, seit 50 Jahren haben sie ihre Wurzeln in die Fundamente des Konzentrationslagers Bergen-Belsen bei Celle geschlagen. Ungehindert, denn dieser östliche Teil des KZ war völlig in Vergessenheit geraten. Eine Woche haben die Telekom-Azubis Bäume gefällt, Stümpfe mit der Seilwinde aus der Erde gezogen, dann die schwere Erde ausgehoben. Nun sind die Kanten eines Beton-Wasserbeckens freigelegt. Wozu es diente? Löschwasser vielleicht, aber genau weiß man nichts – die englischen Befreier haben 1945 das Lager niedergebrannt, um die Seuchengefahr zu bannen. Die Akten verbrannten dabei ebenfalls.

Die Telekom schickt seit Jahren jeden Azubi auf ein Seminar über Faschismus und Rechtsradikalismus. Doch so praktisch ging es dabei noch nie zu. Mancher murrte wohl, gegraben haben sie aber doch alle. Und spätestens abends, wenn sie mit dem Ausbilder in die Kneipe gehen, wird es doch immer recht lustig. Ein bißchen enttäuscht sind die Jugendlichen jetzt aber doch: Auf dem Boden des Beckens fanden sie keine Gabeln oder Schuhe aus jener Zeit, nur blaue Prilflaschen. Nur soviel haben sie erfahren: Es gab insgesamt wohl nur zwei oder drei Wasserstellen. Die hygienischen Umstände in diesem Lager waren noch schlimmer als in anderen – im Winter 1941/42 starben von 20.000 sowjetischen Kriegsgefangenen 18.000 am Fleckfieber. Und selbst dieses Wasserbecken war für die Gefangenen nicht erreichbar: ein Stacheldrahtzaun stand dazwischen.

Mehr Finderglück haben die holländischen und deutschen Jugendlichen des CVJM 50 Meter weiter im Wald: Die legen seit zwei Wochen den Boden einer Barracke frei und fanden zum Beispiel Ketten und Haken. Im hinteren Teil der Barracke waren Schweineställe – hier sollen die 30 Privatschweine des Kommandanten Kramer gemästet worden sein.

andere Bergen-Belsen-BesucherInnen sehen nur die offizielle Gedenkstätte: den parkartigen Friedhof mit Massengräbern und den jüdischen und sowjetischen Mahnmalen. Dazu ein Dokumentenhaus voller Fotos und Schrifttafeln. Dem Außengelände aber sieht man nichts mehr an. Das ist nichts für Jugendliche, sagt Klaus Kobs, Bildungsreferent beim CVJM aus Erfahrung. „Erst wenn was Reales da ist aus dieser Zeit, schmilzt die Distanz von 50 Jahren zusammen, wenn die Jugendlichen sagen können, hier, hier haben sie draufgelegen.“

Wo jetzt die Jugendlichen graben, übten bis vor wenigen Jahren Nato-Soldaten – dieser Teil des KZ war schon vor dem Krieg Militärübungsplatz gewesen und wurde anschließend wieder. „Die hoben hier Schützengräben aus, als wir uns das 1990 mal genauer anschauten“, erzählt Klaus Kobs. Die Bergen-Belsen-Forschung hatte eigentlich längst als abgeschlossen gegolten. Schließlich gab es nur wenige Akten.

Nur auf dem Luftbild, das ein britisches Aufklärungsflugzeugs 1944 gemacht hatte, konnte man die Barracken im östlichen Teil des Lagers erkennen. Unklar nur, aus welchem Winkel das Foto gemacht worden war – im Herbst wird deshalb eine Berufsschulklasse des Baugewerbes das Gelände vermesseen. Das neue Interesse an dem Lager kam mit der rot-grünen Regierung, erzählt Kobs. Heute koordiniert der Landesjugendring Niedersachsen die forscherischen Aktivitäten der diversen Jugendgruppen.

Zwei Wochen auf dem Gelände eines ehemaligen KZ - geht das nicht an die Nieren? „Während der Arbeit denkt man nicht so dran, man darf auch gar nicht dauernd dran denken, daß hier so viele Leute krepiert sind“, sagt der 18jährige Erik. „Hier merkt man das ja auch nicht so, weil es aussieht wie Wald“, sagt Sonja (18), „aber die Rampe sechs Kilometer von hier, da konnte ich mir richtig vorstellen, wie da rumgeschrien wurde.“ Am meisten aber ist Sonja beeindruckt von einem Buch über die Frauen in den Konzentrationslagern. Die Vorstellung, daß manche noch im achten Monat abtreiben mußten, daß die Föten noch schrien, dann erwürgt wurden... „da mußte ich schlucken.“

Aber hier draußen im Pausenzelt, während es aufs dach regnet, während Bananen gegessen werden und ein bißchen Spott über die Telekom-HelferInnen ausgeschüttet wird – „man darf sich da nicht verrückt machen, sonst denkt man, daß man mit jedem Spatenstich die Geschichte zerstört“, sagt einer. Einen Kilometer weiter westlich, in der Gedenkstätte, sitzt derweil ein 15jähriger Israeli auf einer Bank, direkt vor der wandhohen Fotografie eines Leichenberges. „Very painfull“, flüstert er, „very painfull“. Christine Holch