■ Mit den Tschernobyl-Folgen auf du und du
: Krankes Weißrußland

Berlin (taz) – Weißrußland ist auch acht Jahre nach der Reaktorexplosion in Tschernobyl „völlig überfordert“, die Folgen zu bewältigen. Wissenschaftler vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bezeichnen die radioaktive Belastung in einer gestern vorgelegten Studie als das „brennendste Umweltproblem“ der verarmten früheren Sowjetrepublik. Die radioaktive Verseuchung Weißrußlands entspricht danach 70 Prozent des Fallouts einer Hiroschima-Bombe. „Erhebliche Mittel“ muß die Regierung auch jetzt noch aufwenden, um die in den verstrahlten Gebieten lebenden Menschen mit halbwegs unbelasteten Nahrungsmitteln zu versorgen.

1992 waren noch 1,4 Millionen Hektar (15 Prozent) der landwirtschaftlich genutzten Flächen radioaktiv verseucht, davon ein Drittel mit mindestens 5 Curie pro Quadratkilometer. Nur auf 270.000 Hektar wurde die landwirtschaftliche Nutzung eingestellt. „Würden bundesdeutsche Grenzwerte zugrunde gelegt, wäre die landwirtschaftliche Nutzung auf mindestens 20 Prozent der Fläche des Landes unzulässig“, so das DIW.

1993 und 1994 wurden jeweils 10 Prozent aller öffentlichen Ausgaben für die Tschernobyl- Folgen aufgewendet. 126.000 Menschen wurden aus der am meisten verstrahlten Zone im Gebiet Gomel mit 1986 1,85 Millionen Einwohnern ausgesiedelt. Besonders für die Gesundheit der weißrussischen Kinder sind die Folgen der Katastrophe „gravierend“, wie die Forscher schreiben. Schilddrüsenkrebs kommt bei weißrussischen Kindern siebenmal so häufig vor wie in der Zeit vor dem Unglück, im Bezirk Gomel gar 22mal so oft.

Während die höchste Belastung in Westeuropa unmittelbar nach der Katastrophe etwa bei einem Curie des kurzlebigen Jod131 (Halbwertszeit 8 Tage) pro Quadratmeter lag, ist Weißrußland langfristig mit Cäsium137 (Halbwertszeit: 30 Jahre) verstrahlt. Westliche Hilfe, so fordern die Forscher, wäre besonders für die medizinische Versorgung dringend erforderlich. dri