Wo der Mann zum Mann wird

■ Tausende von Berlinern zieht es jedes Wochenende zum Eigenheim ins Grüne / Die klassische und in der Stadt geschmähte Rollenverteilung funktioniert plötzlich bestens

Freitag, Punkt 14 Uhr läßt der 41jährige Rechtsanwalt Martin K. (*) den Stift fallen, schnappt sich Freundin und Kind, und auf geht's ins Häuschen an der Ostsee. Tausende von Berlinern vollziehen jedes Wochenende das gleiche Ritual. Wie die Lemminge geht es ab ins Grüne. Vier Jahre nach der Wende ist der Trend zum Eigenheim ungebrochen. Wer noch keines hat, der sucht noch, vorausgesetzt, er verfügt über das erforderliche Geld. Vor allem Eltern mit kleinen Kindern treten jedes Wochenende die Stadtflucht an. „Meistens sind es die Ärzte, Lehrer und Juristen“, weiß der Makler eines Büros für Berliner Umland-Immobilien. Am begehrtesten sind Resthöfe, Bauernhäuser und Villen 100 Kilometer rund um Berlin: Neuruppin, Rheinsberg, Märkische Schweiz. „Ein schöne ruhige Lage sollte es sein, am liebsten am Wasser.“ Hartgesottene Autofahrer ziehen weiter in den Norden zur Mecklenburgischen Seenplatte und zur Ostsee, wo die Grundstücke zum Teil viel billiger sind.

Alles, was er jemals über die Aufhebung der Rollenteilung gelernt hat, ist schlagartig vergessen, wenn Martin K. am Wochenende aufbricht: „Sie packt die Taschen, ich belade das Auto. Sie sitzt daneben, ich fahre.“ Am Saaler Bodden an der Ostsee wird es dann richtig archaisch. Der Anwalt hämmert, baut und werkelt bei Wind und Wetter den ganzen Tag an dem windschiefen Reetdach-Häuschen herum, während sie für sein leibliches Wohl sorgt, einkauft, wäscht und sich um den Kleinen kümmert. „Diese Schräglage gab es von Anfang an“, zieht er nach vier Jahren Zeit als stolzer Eigenheimbesitzer Bilanz. Aber Kopfzerbrechen bereitet ihm das nicht, schließlich spielt er in Berlin, wo es nichts zu bauen gibt, unter der Woche nach Feierabend brav den Hausmann. Dann holt er den Sohn vom Kindergarten ab, kocht und spült.

Daß die ständige Abwesenheit an den Wochenenden seinen sozialen Konktakten in Berlin nicht gerade zuträglich ist, hat dem Anwalt bislang keine Probleme bereitet. Die Pflege der Freundschaften hebt er sich für die Wintermonate auf. Denn wenn der eisige Wind über den Bodden fegt, bleibt er lieber in der Großstadt. In das 40-Seelen-Dorf ist der Wessi inzwischen gut integriert. Die Nachbarn suchen seinen anwaltlichen Rat bei Kündigungsschutzfragen. Auch Prozesse hat er für die Dörfler schon geführt. Als Gegenleistung schicken sie den Wachhund an seinem Eigenheim vorbei, wenn er nicht da ist, und heizen im Winter den Kachelofen ein, wenn es ihn doch einmal an die Ostsee treibt.

Frei nach dem Slogan: „Nur Atomkraftgegner überwintern bei Dunkelheit mit kaltem Hintern“, verwandelt sich der 44jährige Journalist Frank G. an den Winter- abenden in seinem Häuschen bei Usedom in einen Kernkraftlobbyisten. Der Radiator in der kleinen Küche ist mit einer Schaltuhr so programmiert, daß es bullig warm ist, wenn er mit der Familie am Wochenende anrückt. Im Gegensatz zu dem Anwalt wirkt die Seeluft bei dem Journalisten genau anders herum: Aus dem Rabenvater, der unter der Woche von Termin zu Termin hetzt, wird ein liebevoller Papi, der sich rührend um seine Gören kümmert und seiner Frau jeden Wunsch von den Lippen abliest.

Der 45jährige Ingenieur Max A. flüchtet mit seiner Familie jedes dritte Wochenende in einen kleinen Ort in Mecklenburg-Vorpommern. Den Senatssprecher Anton X. zieht es freitags bis sonntags samt Anhang in ein Neusiedlerdorf in der Uckermark. Nach der hektischen Woche in der Stadt heißt es erst mal die Natur genießen, radeln, paddeln und tief durchatmen. Aber auch der Nachbarschaft wenden sich die beiden Berliner zu. Max A. hat für den Ort bereits eine Solaranlage geplant. Der Senatssprecher unterhält sich mit den Anwohnern über ihre Probleme und macht mit ihnen das eine oder andere soziale Projekt.

Die 39jährige Architektin Hannah B. haben dagegen vor allem steuerliche Vorteile zum Erwerb eines Gutshofes in Mecklenburg getrieben. Jedes Wochenende dort zubringen möchte sie um keinen Preis. „Dazu bin ich zu sehr Stadtmensch“, sagt sie. Als ständige Gesprächspartner seien ihr die Dörfler einfach zu fade. Als Schmarotzerin empfindet sie sich nicht, weil die Baumaßnahmen an dem Haus von Einheimischen durchgeführt werden.

Bislang profitieren nur die Handwerksbetriebe, der Einzelhandel und die Gastronomie von den Wochenend-Berlinern. Dabei hätten die Kommunen das Recht, eine Zweit-Wohnsitzsteuer zu erheben, was aber kaum eine tut. Selbst die Hausbesetzer der frühen Achtziger flüchten aus der Stadt. Bei Fürstenberg hat sich eine ganze Fraktion auf einem Campingplatz Datschen gemietet und verbringt im Sommer fast jedes Wochenende dort. „Spießerkolonie“, schimpft die zurückgebliebene Fraktion dann, wenn das Berliner Mietshaus völlig ausgestorben ist. Aber von den anderen ins Grüne einladen lassen sie sich doch ganz gerne mal. Plutiona Plarre

(*) Namen von der Red. geändert