Alle lieben Heidi – wir auch

Die Krawallschachtel Heidi Kabel wird 80 – Ein tiefer Knicks  ■ von Jan Feddersen

Seit einer Woche scheint es für Hamburger Medien – neben Plutoniumschmuggel und Russenmafia – kein anderes Thema zu geben als die Würdigung einer Frau, die heute ihren 80. Geburtstag feiert: Heidi Kabel. Gemeinsamer Tenor: Alle mögen sie, alle haben sie lieb, schon immer und gerade jetzt. Ein kollektiver Knicks also vor einer Person, die wie keine zweite in Deutschland von allgemeiner Zuneigung überschüttet wird: Solch eine Tante, frech und frisch, und solch eine Mutter, streng aber gütig, hätten wir alle gerne.

Nur alternative Medien wie die taz haben einst noch gemäkelt: Man beschrieb sie, offenbar selbst am Leben verbittert, als „Gemütlichkeitshexe“. Und Gemüt haben Linke bekanntlich nimmer sich gönnen mögen. Die Zeiten haben sich geändert, selbst Punx sollen schon im Hamburger Ohnsorgtheater gesehen worden sein, wenn sie mal wieder in einem Stück auf der Bühne steht, mit ihrem berühmten ausgestreckten Arm, aus dessen Hand ein Zeigefinger hervorsticht. Kurzum: Wir gehen in die Knie und knicksen mit!

Bis Anfang der 50er Jahre war Heidi Mahler, wie die verehrte Schauspielerin (die Berufsbezeichnung Volksschauspielerin sei unter den Tisch gekehrt, tut sie doch so, als müßten sich andere Schauspieler nicht darum kümmern, was dem Volk gefällt) eigentlich heißt, nichts weiter als ein wichtiges Ensemblemitglied an eben jenem Ohnsorgtheater in der Nähe der Hamburger Binnenalster. Ihr Mann war dort Intendant, sie selbst mußte sich die Ausbildung auf der Bühne Anfang der 30er Jahre erst gegen den Willen ihrer Eltern erstreiten.

Das junge Fernsehen der kaum älteren Bundesrepublik brauchte Helden, unverbrauchte, nicht an- oder eingebräunte Idole wie Johannes Heesters oder Marika Rökk, Frauen brauchte es, die in demokratischer Neuzeit trotzdem so etwas wie Gemeinsinn stiften. 1954 hatte der kölsche Willy Millowitsch erstmals auf der Mattscheibe glänzen dürfen – und die Intendanten suchten nach einem Gegengewicht zum Rheinischen.

In Hamburg gab es ja das Ohnsorgtheater – und seither flimmerten über 200 Komödien, Lustspiele und (seltener) Dramen aus der Pflegestation der niederdeutschen Sprache in bundesdeutsche Haushalte. Meist war Heidi Kabel mit dabei, in „Tratsch im Treppenhaus“, in „Mudder Mews“, in „Die Kartenlegerin“ oder „Seine Majestät Gustav Krause“. Es waren immer Figuren aus eher proletarischem oder kleinbürgerlichem Milieu – Gestalten, in denen sich das Fernsehvolk wiedererkannte.

Ihre Zuschauer liebten sie von Beginn an, mehr noch als den knöterigen Henry Vahl. Sie war die patente Frau, die eigentlich für alle Fährnisse des Lebens entweder verantwortlich war oder zumindest Verständnis dafür aufbrachte – wenn nur die Menschen anständig (das ist immer schön steif hamburgisch moduliert) bleiben oder werden. (Vielleicht sei hier für die Bayern die Anmerkung erlaubt, daß in Hamburg s und t getrennt ausgesprochen werden, eben so wie man über einen s-pitzen S-tein s-tolpert, grüßt die Säzzerin)

Das Sittenkorsett der Heidi Kabel – Rolle und Person verschwammen immer mehr zu einem Gesamtkunstwerk – ist leicht bestimmt: Aufrichtigkeit, Korrektheit im Umgang mit anderen Menschen, Herzenswärme und Ehrlichkeit an und für sich. Frechheit gibt es bestenfalls in homöopathischen Dosen. Wogegen Heidi Kabel steht – sie hat es öffentlich oft genug ausgesprochen – sind Miseren wie Rassismus („Das braucht nun keiner zu sagen, daß Ausländer auch Menschen sind. Das ist eine Selbstverständlichkeit“), Gewalt und Niedertracht.

Dennoch steht sie im Ruf, Leuten wie Helmut Schmidt nicht nur freundschaftlich, sondern auch politisch verbunden zu sein. Das macht sie beim Ökovolk mindestens verdächtig. Sie, die sich selbst einmal als „Krawallschachtel“ mit dem „Herz auf dem rechten Fleck“ bezeichnete, weiß mit solcher Kritik nicht umzugehen: „Ich habe so viele politische Veränderungen in meinem Leben erlebt, da bin ich immer eher für ein geordnetes Zusammenleben, für klare Absprachen und wohlüberlegtes Handeln.“ Man muß das nicht verstehen, aber für eine, die die Nazizeit überstanden hat, ohne selbst denunziert zu haben, ist so eine Haltung zumindest plausibel.

Daß sie die Ende der 60er Jahre einsetzende Liberalisierung nicht ungern kommen sah, verriet sie en passant in einem Interview: „Ich bin die letzte, die etwas gegen Sexualaufklärung hat. Was haben wir uns während meiner Jugend damit herumgeschlagen, so verkniffen. Und niemanden konnte man fragen. Mein Gott, waren wir damals verklemmt. Aber Pornographie mag ich nicht.“ Heidi Kabel – allzeit mütterlich. Ihr Credo darf umschrieben werden mit den Worten, die sie allen jungen Männern 1968 zugerufen hätte: „Nichts gegen lange Haare, aber gepflegt müssen sie sein.“ Ihre karitative Tätigkeit für Altenprojekte und ihre nicht vorhandene Berührungsangst vor schwulen Anliegen (die Kabel trat schon Mitte der achtziger Jahre bei Aids-Benefizabenden auf) machen sie glaubwürdig.

Auf der Bühne steht sie nur noch selten: im November wieder im Ohnsorgtheater. Im Fernsehen glänzt sie in Petitessen wie „Heidi und Erni“, bisweilen noch in Talk- Shows, wo sie in puncto Frische und Präsenz den meisten JungspundInnen das Wasser abgräbt.

Am Wochenende hat sie einen fürchterlich stressigen Parcours an Gratulanten und Feierlichkeiten abzuschreiten: „Das ist schon ein bißchen viel“, erkennt sie, „aber schön ist es doch.“ Ab Montag kann sie wieder an der Elbe spazierengehen oder an die Nordsee reisen: Um sich zu erholen, mahnt sie mich am Telefon, „muß man nicht weit fahren, da genügt schon 'ne Brise Wind, um wieder einen klaren Kopf zu kriegen“.

N 3 widmet den Samstag ganz Heidi Kabel: 20.15 Uhr „Für die Katz“, 22.05 Uhr „Unser aller Heidi“ (Porträt), im Anschluß: Heidi-Kabel-Party. Am Sonntag zeigt die ARD um 20.15 Uhr zwei neue Einakter mit Heidi Kabel.