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SanssouciVorschlag

■ Ein Kreuz mit der Kunst: endart im Kunstamt Kreuzberg

Langsam, aber dafür endgültig haben es die Jungs von endart geschafft: vom Kunstdesaster zur Retrospektive.

Die großangelegte Rückschau ist auch ein Triumph der Hartnäckigkeit. Dreihundert Gemälde, Fotografien, Assemblagen und Objekte treten hier den Beweis an, daß man das, was man macht, nur mit genügend Ausdauer machen muß, um sich seinen Platz im großen Ganzen zu sichern. Schon werden Vergleiche bemüht, die endart neben George Grosz, John Heartfield oder Otto Dix stellen. Nicht einmal ganz zu Unrecht. Denn was die von ursprünglich sieben auf zwei Mitglieder geschrumpfte Künstlergruppe seit ihrer Gründung 1980 fabriziert, ist rundum ätzend. Nichts soll verschont werden. Papst Pius XII bekommt gespreizte Frauenschenkel auf die Soutane collagiert („Pipi Pius“, 1986), ein debiler Kohl wird neben Friedrich d. Gr., Bismarck und Hitler zum vierten deutschen Reichsgründer („2. Dezember 1990“), und der „Bitterfelder Herpeskönig“ deliriert im Vereinigungstaumel „Helmüt, Kohla – Helmüt, Audo – Helmüt, Vidjo“. Nach einem ersten Rundgang durch die Ausstellung im Kunstamt Kreuzberg ist zumindest eines klar: alles Feinsinnige, Wohltemperierte muß hier leider draußen bleiben.

Als sich die Endartler 1980 zusammentaten, war einiges los in Kreuzberg: Punk hatte Deutschland erreicht und sich bevorzugt rund um den Oranienplatz niedergelassen; die ersten Häuser wurden besetzt, in der Kunst bereiteten Fetting, Middendorf und die Boys vom Moritzplatz ihren kurzen Welterfolg vor. Jung sein, wild sein, hieß die Devise. Partys mußte feiern können, wer etwas gelten wollte in der Szene.

Horexsex, 1991 (im Hintergrund „Das Schweißtuch von A.H.“). Foto: Katalog

Dann kam endart, und mit einem Mal sahen die Jungen Wilden ziemlich alt aus. 1981 wurde die endart-Galerie in der Oranienstraße eröffnet, und von da an machten Peter, Charly, Antje, Chicken, Anus, Herbert und Gerd Ernst mit dem Spaß. In schöner Regelmäßigkeit endeten die Vernissagen in völligem Chaos, manches Kunstwerk überstand den ersten Abend nicht. Doch egal, endart war angetreten, mit dem Mythos vom Einzelstück aufzuräumen. Die Arbeiten enstanden grundsätzlich im Kollektiv, einer fing an, der Rest machte es fertig, oft im doppelten Sinn.

Nichts war geschmacklos genug, keine Idee zu pubertär, um nicht noch in einem endart-Kunstwerk verarbeitet zu werden. Plastikflaschen, Pornofetzen, rostiges Metall, Essensreste, Kitsch, kurz: Müll, das war der Stoff, aus dem die sieben ihre Kunstobjekte und Karikaturen zusammenbastelten. Signiert wurden die Stücke entweder gemeinsam oder besser gar nicht. Darüber hinaus veranstalteten sie in ihrer Galerie reichlich obskure Mischformen aus Trinkgelage und Performance, die hauseigene Band „King of Therapy“ hatte diverse, an akustische Schmerzgrenzen sich vortastende Auftritte. Sogar an die hohe Politik wagten sie sich damals – am 1. 11. 1984 („Volkstrauertag“), als sie rund fünfzig Werke kurzerhand über die noch sehr reale Berliner Mauer warfen und den diensthabenden Grenzoffizier in eine mittelschwere Krise stürzten. Nun ist's Vergangenheit.

Die Gegenwart für die irgendwann von Stargalerist Paul Maenz entdeckten Endartler, die es bei der 1985er Ausstellung „Deutsche Kunst von 1945 bis 1985“ bis in Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie gebracht hatten, sieht so aus: Auf 450 Quadratmeter in den unteren Sälen des Bethanien verteilt, reiht sich heute Schocker an Schocker, Kalauer an Kalauer – Respektlosigkeit und Tabubruch sind zum Stilprinzip geworden. Der Eklat, der ist perdu. Er ist die Regel, nicht die Ausnahme. Längst hat endart seinen Platz in der Kunstwelt, wird die Künstlergruppe als Berliner Unikum herumgereicht und leicht irritiert beguckt, in St. Gallen in der Schweiz etwa oder im Kunstverein Bingen, anläßlich der ersten „Binger Kunsttage“. Hitler als Jesus auf den zwölf Stationen des Kreuzwegs, jede Menge gezeichnete Fickorgien, die „Ideale Frau“ – eine barbusige, schwanzlutschende Dienerin mit Bierkasten auf dem Kopf. Als Holzrelief. Allein es hilft nix, die Cloaca Maxima hat sich andere Spielplätze gesucht. Endart ist museumsreif, der Exzeß Anekdote. Und wenn man diese eineinhalb Jahrzehnte Punkkunst einmal aus der Distanz betrachtet, wie jetzt im Kunstamt Kreuzberg, ist es nicht die scharfzüngige Gesellschaftskritik, die erstaunt. Sondern die offenkundig fehlende Sorge, sich lächerlich zu machen. Ulrich Clewing

Bis 23.10., Di.–So. 12–18, Mi. 12–20 Uhr, Mariannenplatz 2.

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