Moderne aus zweiter Hand

Kunstarbeit versus Staatssicherheit: Das Albertinum in Dresden zeigt Arbeiten von Eberhard Göschel  ■ Von Detlef Krell

Weithin offene Landschaft in diesem ultramarinblau-violetten, sanft schimmernden Licht. Wasser vielleicht, ein Ozean. Die Farben liegen in dicken, krustigen Schichten, aufgetragen mit Spachtel und breitem Pinsel. Ein monochromes Netz von Feldern und Gebirgen, Schlieren, Wogen. Das Bild beherrscht die gesamte Stirnwand des Ateliers. Der Maler rührt mit dem Finger in frischen Ölschichten, streicht mit der flachen Hand eine Welle auf und sagt: „In sieben Tagen muß so ein Bild fertig sein, dann ist die Farbe getrocknet. Wenn man dann nochmal drübergeht, wird es schmerzhaft.“

Eberhard Göschel lobt das Licht und die Ruhe im Atelier unterm Dach eines Gründerzeithauses in der Dresdner Äußeren Neustadt. Als ihm dieser Raum zugewiesen wurde, 1984, hatte die Bezirksleitung des Verbandes Bildender Künstler energischen Einspruch erhoben. Im Operativvorgang des Ministeriums für Staatssicherheit, KII 84/76, war nämlich vorgegeben: „Verhinderung der Vergabe von besonders günstig gelegenen Ateliers an Göschel und Herrmann im Zentrum der Dresdner Neustadt, zumal sie planten, in diesen geräumigen Ateliers auch Zusammenkünfte mit ihren Freunden zu veranstalten.“ Freunde, das waren der Maler Peter Graf, die Plastikerin Thea Richter, der Lyriker Bernhard Theilmann, der Grafiker Reinhard Sandner und der Drucker Jochen Lorenz ... Die Dresdner Boheme – Ralf Winkler und A. R. Penck waren damals schon im Westen. – Bernhard Theilmann hat sich durch Göschels Stasiakten und seine eigene Biografie gegraben. Im Katalog der kürzlich im Dresdner Albertinum eröffneten, bisher umfangreichsten Ausstellung des Künstlers erinnert er: „Göschels Werk gehört zum Strom der internationalen Moderne, er selbst muß wie ein Nichtschwimmer am Ufer stehen.“ Herbert Kunze, der einsame und verehrte Lehrer an der staubigen Dresdner Akademie, hatte dem Studenten Göschel die prallgefüllten Schubladen gezeigt: Collagen, kalligrafisch-abstrakte Zeichnungen. Mit „Sozialistischem Realismus“ der „Hausfriedenskomitees“ hatte Göschel ohnehin nie etwas am breitkrempigen Hut. Kunze empfahl dem jungen Maler das Katalogstudium in der Sächsischen Landesbibliothek; so kam die Moderne aus zweiter Hand ins Atelier. Im „Körnergarten“, einer Elbuferkneipe, fand Göschel Freunde wie Peter Herrmann und Jürgen Böttcher „Strawalde“; seine wichtigste Universität. Das Diplom, 1969 bei Rudolf Bergander, war nur noch Formsache: Er durfte Kandidat des Verbandes werden und freischaffend arbeiten.

Göschels Werk hat seine Wurzeln bei Cézanne und Giorgio Morandi, es besteht neben den Bildern von Emil Schumacher oder des Sachsen Gerhart Richter. Von einer „DDR-Kunst“ der Sittes und Tübkes, wie sie in der Berliner Nationalgalerie recycelt wird, ist es Welten entfernt. Die Ausstellung im Albertinum vereint Arbeiten aus den Jahren 1987 und 1994, doch Göschel hat dazu auch sechs frühe Werke ausgewählt, die bereits in der Tradition einer „Dresdner Schule“ abseits des Akademismus liegen, für die Namen wie Theodor Rosenhauer, Hans Kinder, Hans Jüchser stehen. Mit diesem Rückblick behandelt Göschel auch ein deutsch-deutsches „Mißverständnis“ und meldet sich im „Bilderstreit“ zu Wort, denn „da wird manchmal so geredet, als ob die Freiheit, die ich mir herausnehme, ein Geschenk wäre, für das ich gar nichts kann.“ Kulturjournalisten aus dem Westen trösten den Fünfzigjährigen, daß er doch nun endlich die Bilder malen könne, die er schon immer hatte malen wollen. „Es gab hier kein Malverbot“, hält Göschel die einfache, unbequeme Wahrheit dagegen. „Und es gibt gar nichts zur Entschuldigung, wenn jemand nicht das gemacht hat, was er wollte.“

Die erste Ausstellung, mit Peter Graf und Peter Herrmann, zeigte Göschel 1973 in der „Kleinen Galerie Pankow“. „Dresdner Künstler, die im dortigen Verband als ausgesprochene Querulanten gelten“, wußten die hauptstädtischen Sicherheitsorgane. Von 1975 an hatte Dresden mit dem Leonhardi- Museum, wenige Schritte vom „Körnergarten“ entfernt, eine „Institution“ für freie Kunstausstellungen. Göschel war Leiter des ehrenamtlichen Beirates dieser Galerie des Verbandes Bildender Künstler. Die Arbeitsgruppe wußte ein Ausstellungsprogramm zusammenzustellen, das in der DDR für Aufsehen sorgte. Zunächst holte Göschel seinen Lehrer Herbert Kunze in die Galerie. Kunze war 1973 verbittert aus der Akademie ausgeschieden und durfte nun erstmals seine abstrakten Arbeiten ausstellen. 1975 zeigte Göschel in der Leonhardi- Galerie seine erste Personalausstellung. Die Gruppenausstellung „Frühstück im Freien“, 1982, geriet zum fulminanten Fest der Dresdner Künstlerszene. Nach diesem Frühstück mußte die Galerie „aus technischen Gründen“ über Jahre schließen.

1978 entstand mit der „Obergrabenpresse“ ein für DDR-Verhältnisse unerhörtes und deshalb einmaliges Unternehmen: Selbstverwaltete Werkstatt, Druckerei, Verlag, Galerie. Gründer waren Eberhard Göschel, Peter Herrmann, Ralf Winkler, Jochen Lorenz und Bernhard Theilmann. Die Obergrabenpresse verlegte Grafik-Lyrikmappen, darunter mit den ersten Aquatinta-Radierungen Göschels, sie lud Grafiker zur Arbeit ein, brachte Künstlerbücher heraus, zeigte Ausstellungen, und sie arbeitet bis heute.

1990 retteten die Obergraben- Künstler eine Kupferdruckpresse aus dem Keller des Bitterfelder Kulturhauses vor dem Schrottplatz. Sie wurde eingeweiht mit einem Fest und einer Serie Aquatinta-Radierungen Göschels. 1991 wandte sich Göschel auch wieder der Plastik zu. Erstmals hatte er Terrakotten 1981 im Leonhardi- Museum ausgestellt. Damals standen die Skulpturen vor den Bildern. „Die Skulpturen hatten ihre Bilder verlassen. Dann sind die Bilder selbst plastischer geworden, als die Oberflächen Reliefs bekamen. Nun haben die Skulpturen einen eigenen Anspruch. Sie brauchen die Bilder nicht mehr.“ Im Albertinum sind jüngste plastische Arbeiten zu sehen: zarte Stelen, wie Stein gewordenes Leben, plaziert auf Sockeln aus Schiefer.

Eberhard Göschel: Gemälde, Gouachen, Terrakotten, bis 9. 10., Staatliche Kunstsammlungen Dresden/Albertinum; 15. 1. bis 26.2. 95, Galerie am Fischmarkt Erfurt/Haus zum Roten Ochsen; 16.3. bis 14.5. 95, Ludwig Forum für internationale Kunst, Aachen. Der Katalog kostet 28 DM.