: Die zwei Gesichter des Aluminiums
Das häufigste Metall der Erdkruste wird durch den sauren Regen zum starken Gift ■ Von Andreas Weber
Als die Öffentlichkeit vor gut einem Jahrzehnt vom Sterben der Wälder Kenntnis nahm, war die Ursache schnell gefunden: Die durch Reaktion von schwefelhaltigen Abgasen mit Regenwasser entstehende schweflige Säure macht nicht nur Bäumen und Gewässern zu schaffen, sondern zerfrißt gar die so zukunftssicher gebauten Betonschalen von Hochhäusern und Brücken.
Mit zunehmender Erforschung des sauren Regens kehrt sich jedoch immer deutlicher heraus, daß nicht die ätzende Gewalt der Säure allein Gewordenes und Gemachtes schädigt, sondern daß vor allem eine unüberschaubare Zahl von toxischen Folgeprozessen durch die allgemeine Übersäuerung erst ausgelöst werden. Immer mehr ungeahnte Querverbindungen arbeitet der Zauberlehrling Mensch aus dem Krankheitsbild der Natur hervor. Das Lebende wird nicht einfach zerfressen wie der Stein; sein Leiden ist schleichend, wenn sich die Bedingungen ändern, unter denen es sich in Milliarden von Jahren entfalten konnte.
Nach Sauerstoff und Eisen ist Aluminium das dritthäufigste Element auf unserem Planeten überhaupt. Mit einem Gesamtanteil von acht Prozent ist Aluminium das häufigste Metall der äußeren Erdkruste. Es ist überall, und das in Massen: im Stein, im Sand und im Staub. Dort liegt es meistens mit Silikat chemisch fest gebunden vor. Doch weil das Metall so allgegenwärtig ist wie die Luft zum Atmen, hat es lange gedauert, bis man seine verborgene Rolle in den Verheerungen des sauren Regens begriff. Auch als aufgrund der schwefligen Emissionen der Industrieländer in kanadischen und skandinavischen Seen das Fischsterben begann, machte die Wissenschaft zunächst nur den bis zur Essigstärke gestiegenen Säuregrad der Gewässer für den Massentod verantwortlich. Doch irgendwann im Verlauf der Untersuchungen stellte sich heraus, daß Fische in moorigen, von Natur aus bereits sauren Seen keine Überlebensprobleme hatten. Was war an diesen Gewässern anders? „Angaben über die Überlebensbedingungen von Fischpopulationen, die nur auf den pH-Wert eingehen“, resümierte zunächst die amerikanische Umweltforscherin Joan Baker von der Duke University in North Carolina, „könnten sich als falsch erweisen.“ Entsprechende Untersuchungen, die andere Faktoren berücksichtigten, ergaben, daß in den entvölkerten Seen die Aluminiumkonzentrationen um ein Vielfaches höher sind als in den Vergleichsgewässern. Statt der normalen Mengen von zwei bis sieben Milligramm pro Kilogramm Fisch fand man Werte bis zu fünfzig Milligramm. Alle Opfer wiesen als Symptome der Vergiftung verschleimte und entzündete Kiemen auf. Nachfolgende Laborversuche der amerikanischen Wissenschaftler zeigen eine klare Beziehung zwischen Aluminiumgehalt des Aquarienwassers und Sterblichkeit der Fische. Aluminium, dieser Allerweltsstoff, plötzlich ein gefährliches Gift?
Aluminium weist ein besonderes chemisches Verhalten auf. „Obwohl das Metall in Gesteinen, Böden und im Luftstaub ein Hauptbestandteil ist, tritt es bei physiologischem pH kaum durch chemische Reaktionen in Erscheinung“, erklärt der österreichische Wissenschaftler Manfred Sager. Der sogenannte „physiologische pH“, der Säuregrad innerhalb der Zelle also, ist für alle Lebewesen gleich und liegt etwa bei dem Wert sieben. Da Aluminium nun ausgerechnet in einem pH-Bereich von sechs bis sieben sein Löslichkeitsminimum hat, tritt der Stoff in der Natur fast ausschließlich fest gebunden auf. Jenseits dieses pH- Wertes jedoch steigt seine Löslichkeit an. Organismen haben mit dem Metall daher normalerweise nichts zu tun: Fest an andere Stoffe gebunden, verläßt es ihren Körper, ohne Schäden anzurichten. Sobald jedoch durch Säureeinwirkung der pH-Wert herabgesetzt wird, gehen Aluminium-Ionen in Lösung, und das harmlose Metall „verwandelt sich zu einem starken Gift“, so Manfred Sager. In den betroffenen Seen wird das Metall durch die Säure aus den umliegenden Böden gelöst. Die Fische sterben dann an einer Vergiftung, die es in der bisherigen Naturgeschichte so noch nicht gegeben hat. Organische Säuren jedoch, wie sie in Moorgewässern mit niedrigem pH natürlich vorkommen, binden die freigesetzten Metall-Ionen sogleich zu einem ungiftigen Komplex.
Die toxische Wirkung betrifft mehr oder weniger stark alle Lebewesen. Bei Fischen werden unter anderem die Kiemen geschädigt, doch die Hauptwirkung entfaltet der Stoff im Nervengewebe, wo es zur Degeneration von Zellen und faserigen Ablagerungen kommt. Muskelschwäche, Orientierungslosigkeit und Gedächtnisverlust sind die Folge. Vermutlich setzt das Metall einige der lebenswichtigen Phosphatverbindungen im Zellstoffwechsel außer Kraft und stört so das Botenstoffsystem der Zelle. Außerdem ist erwiesen, daß durch die hohe Körperkonzentration direkt die Aufnahme von Kalzium und anderer zweiwertiger Metall-Ionen beeinträchtigt wird.
Gerade dieser Umstand wird vor allem Pflanzen auf säuregeschädigten Böden zum Verhängnis. Professor Josef Bauch von der Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft in Hamburg: „Das Eindringen von Aluminium in die Feinwurzeln verhindert die Aufnahme von Kalzium und Magnesium.“ Auch das Waldsterben ist somit möglicherweise in stärkerem Maße, als bisher vermutet, von freigesetztem Aluminium beeinflußt. Sobald der pH-Wert im Boden absinkt, sind die toxischen Ionen da.
Aus nahezu jedem Boden kann das Metall durch exzessive Säurebehandlung herausgewaschen werden. Doch schon lange ist es nicht mehr nur in den Böden. Als Folge einer intensiven Landwirtschaft werden Bodenmineralien erodiert und im globalen Maßstab verdriftet. Im Staub der Luft ist das Metall genauso wie in den unzähligen Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens. Welche Wirkungen von aluminiumhaltigen Küchengeräten, Getränkedosen, Backzusätzen und Medikamenten ausgehen kann, zeigte sich erstmals, als Dialysepatienten, die mit einem Aluminiumpräparat behandelt wurden, unter schweren Wahrnehmungsstörungen und Gedächtnisverlust litten. Wie man jetzt weiß, handelte es sich um die typischen Erscheinungen einer Aluminiumvergiftung. Und sogar bei der inzwischen epidemieartig unter älteren Menschen verbreiteten Altersdemenz, der Alzheimerischen Krankheit, wird Aluminium in den befallenen Zellen gefunden. Bisher allerdings konnte noch kein Zusammenhang mit der Krankheit hergestellt werden. Aber vielleicht warten hier nur weitere Überraschungen auf uns.
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