■ Das Portrait
: William Niederland

Heute wäre er 90 Jahre alt geworden, im Juli jährte sich sein Todestag zum ersten Mal: William G. Niederland, der „Psychiater der Verfolgten“ (Biographin Wenda Focke). „An Millionen Menschen wurde, wie wir heute wissen, tatsächlich Mord verübt. An den meisten derjenigen, die entkamen und überlebten, war es Seelenmord.“ Dieses Zitat über die Nazi- Barbarei aus seinem Standardwerk „Folgen der Verfolgung. Das Überlebenden- Syndrom. Seelenmord“ hat bis heute nichts von seiner Aktualität verloren – siehe das Mannheimer Skandalurteil zur Auschwitz-Leugnung.

Niederland wußte, wovon er sprach: Der Psychoanalytiker und Professor für Psychiatrie wurde als deutscher Jude selbst von den Nazis vertrieben und hat sich Jahrzehnte seines Lebens für andere Verfolgte eingesetzt. In seiner Tätigkeit als nervenärztlicher Gutachter des Generalkonsulats der Bundesrepublik in New York verhalf er in den sogenannten Wiedergutmachungsprozessen einer Vielzahl leidender Menschen zu einer Entschädigung und Anerkennung ihres Leids – allerdings um den Preis entwürdigender Beweispflicht der Opfer und nicht selten gegen den massiven Widerstand „klassischer“ deutscher Psychiater.

Die psychischen Folgen der NS-Schreckensherrschaft wurden lange Zeit auch in Psychologie und Psychotherapie häufig verdrängt, verleugnet, verhüllt, als „vorbei und erledigt“ weggeschoben. Erst Mitte der sechziger Jahre fanden psychische Leiden Berücksichtigung im deutschen Entschädigungsrecht. Und es waren zumeist emigrierte und selbst von Verfolgung betroffene Mediziner wie Niederland, die dafür gesorgt hatten.

Internationale Anerkennung errang der zeitweilige Präsident der Psychoanalytischen Vereinigung New York, der über die Exilstationen Italien, England, Singapur und Philippinen in die USA gelangt war, jedoch nicht nur durch sein Engagement für die Überlebenden des Holocaust: Von seinen berühmten Studien zum „Fall Schreber“ über psychohistorische Aufsätze bis hin Der „Psychiater der Verfolgten“ wäre heute 90 Jahre alt gewordenFoto: taz-Archiv

zu seinen psychobiographischen Studien kreativer Persönlichkeiten wie Freud, Goya und Schliemann reichte das ungewöhnliche Spektrum seiner Arbeiten, mit denen Niederland zu „einem der produktivsten und originellsten psychoanalytischen Autoren der zweiten Generation nach Freud“ wurde (H.-M. Lohmann, „Psyche“). Klaus Brath