„Die Frauenrechtlerei ist überlebt, veraltet“

■ Serie: 100 Jahre Berliner Frauenbewegung (zweite Folge): Die Agitatorin für das Frauenstimmrecht, Minna Cauer, war zuweilen von der Bewegung frustriert

Zur Frauenbewegung stieß die Pfarrerstochter und Lehrerin Minna Cauer 1888 eher zufällig. Weil sie dringlich darum gebeten wurde, erklärte sich die damals 47jährige bereit, in den Vorstand des Vereins „Frauenwohl“ zu gehen. Die Gruppierung mit dem harmlos klingenden Namen entwickelte sich in den folgenden Jahren zum „Kampfverein“ (Cauer) und radikalen Flügel der Frauenbewegung.

Lange bevor der 1894 gegründete und mehrheitlich gemäßigte Bund Deutscher Frauenvereine sich für das Frauenstimmrecht einsetzte, berief Cauer in Berlin dazu die erste öffentliche Versammlung ein. Zeitgenossinnen beschreiben sie als elegante Erscheinung; eine Dame, die Würde ausstrahlt, aber auch eine zeitlebens empfundene Einsamkeit nicht verbergen kann.

Nachdem 1881 auch ihr zweiter Mann gestorben war, dachte sie an Selbstmord. Doch dann begann sie, sich wissenschaftlich mit der Geschichte der Frauen zu beschäftigen. Ihre langjährige Sekretärin Else Lüders schreibt über Cauer, es gebe „nie ein Stillstehen, nie ein Rasten“, sie sei unermüdlich im forschen, denken, lernen, weiterstreben. Cauer selbst sagt: „Ich habe mich immer betäubt durch Arbeit.“

Ihr Lebenswerk ist die Zeitschrift Die Frauenbewegung, die sie 25 Jahre lang von 1895 bis 1919 unter persönlichen und finanziellen Opfern herausgegeben hat. Sie gehörte zu den wenigen bürgerlichen Frauenrechtlerinnen, die sich immer wieder für ein gemeinsames Vorgehen von Arbeiter- und Frauenbewegung aussprachen. Unter ihrer Leitung entwickelte sich der 1889 gegründete „Kaufmännische Hilfsverein für weibliche Angestellte“ rasch zu einer Art Frauengewerkschaft.

Minna Cauer hat sich nie darauf beschränkt, für Frauenrechte einzutreten. Sie äußerte sich auch zu innen- und außenpolitischen Themen. 1896 verfaßte die entschiedene Demokratin mit 30 anderen Frauenbewegten eine Erklärung gegen eine Neuauflage der Sozialistengesetze. Zeitweise bezeichnete sich Cauer als Sozialistin, tat aber nie den damals revolutionären Schritt, der SPD beizutreten.

Über die Frauenbewegung äußerte sie sich zuweilen frustriert: Die Frauenbewegung wirke „trostlos“ auf manche Naturen, so eine Tagebuchnotiz aus dem Jahre 1910. Den Vertreterinnen des bürgerlichen Flügels wirft sie „Phrasentum und Eitelkeit“ vor. „Die bürgerliche Frauenbewegung hat sich in ihr eigenes Vereins- und Traumleben eingesponnen.“ Fast resigniert stellt sie fest: „Die Frauenrechtlerei ist überlebt, veraltet. Das Neue, die politische Frau –, ist kaum noch da.“

Trotz solch gelegentlicher pessimistischer Anflüge hielt sie im Winter 1910/11 im Alter von 70 Jahren etwa 50 Vorträge in allen Teilen Preußens. Vor ihrem Tod 1922 war es ihr vergönnt, ihr wichtigstes politisches Ziel, das Frauenstimmrecht, verwirklicht zu sehen. Am 9. November 1918 notierte sie in ihr Tagebuch: „Abdankung des Kaisers, Ausbruch der Revolution. Meine Wohnung fast erstürmt von Menschen –, ich bleibe zu Hause. Ich bin freudig erschüttert, (...) und die Tränen sind mir über die Wangen gelaufen. Traum meiner Jugend. Erfüllung im Alter! Ich sterbe als Republikanerin.“ Drei Tage später wurde das Wahlrecht für Frauen eingeführt. Dorothee Winden

wird morgen fortgesetzt