Die Ausgewogenheit einer Justiz

■ betr.: „Ich rede und ich schreibe Fraktur“, taz vom 30.8.94

Nach der Abschiebung eines mehrfach behinderten Romajungen zurück in einen Slum auf dem südlichen Balkan äußerte ich öffentlich: Die Zukunft des Jungen ist brutal zerstört worden; die Abschiebung war inhuman, die fremdenfeindlichste Tat, die an Schulen der Region zu beobachten war. Daraufhin wurde ich wegen Beleidigung der Behörde zu einer Geldstrafe von 4.000 DM verurteilt.

Kürzlich nun wurde Günter Deckert, ehemals als Oberstudienrat mein Kollege, ein solcher, der Auschwitz zur Lüge erklärt, von einem Juristen, dem Landrichter Dr. Müller bescheinigt, er sei eine „charakterstarke, verantwortungsbewußte Persönlichkeit“. Am gleichen Tag ließ ein anderer Jurist, Rechtsdezernent in einer regionalen Verwaltungsbehörde, über mich in den „Tagesthemen“ verbreiten, ich hätte mit meiner Kritik an dem „demokratisch legitimierten Verfahren“ der Abschiebung den Staat „verunglimpft“. Jemand wie ich sollte von der Strafjustiz „verfolgt“ werden; denn Weimar sei daran gescheitert, daß der Staat sich nicht gewehrt habe gegen die Übergriffe von Radikalen und Terroristen. Im Einsatz für einen behinderten Romajungen zum „Straftäter“ geworden, in einer Reihe stehend mit Radikalen und Terroristen, blicke ich seitdem voller Neid hoch zu meinem „verantwortungsbewußten“ und „charakterfesten“ Kollegen.

Meine leisen Zweifel an der Justiz, die zugegebenermaßen doch in mir hochgekommen sind, sind nun endgültig beseitigt, da ich erfahre, daß ein weiterer Kollege von mir, der Oberstudienrat Witzsch, zu einer Geldstrafe von 5.000 DM verurteilt wurde, weil er in einer etwas anderen Version wie der Kollege Deckert den Holocaust an den Juden leugnete. Also 4.000 DM für mich, den „linken“, 5.000 DM gar für Witzsch, den „rechten“ Straftäter. Hier beweist sich einmal mehr die Ausgewogenheit einer Justiz, die weder auf dem rechten noch auf dem linken Auge blind ist. Michael Stoffels,

auch Oberstudienrat